Projekte & Länder

Kinderarbeit im Nikolaus-Stiefel

100 Mio. Schoko-Weihnachtsmänner gehen in Deutschland über die Ladentheke. 2 Mio. Kinder schufften dafür auf Kakaoplantagen. Warum es endlich höhere Kakaopreise braucht, erklärt Evelyn Bahn.

von Evelyn Bahn
Veröffentlicht 6. DEZEMBER 2019

Überall glitzert und funkelt es, es riecht nach Glühwein und die Menschen schieben sich von Hütte zu Hütte, um Schokolade und andere Köstlichkeiten zu probieren. Es ist Adventszeit und in Tübingen findet ein großes Schokoladenfestival statt. Elizabeth Osei Agyei trinkt zum ersten Mal in ihrem Leben eine heiße Schokolade. Sie ist Kakaobäuerin aus Ghana und auf Einladung von INKOTA in Deutschland, um über das Leben von Kakaobauernfamilien zu berichten. „Ich war überrascht, dass viele Menschen nicht wissen, woher der Kakao in der Schokolade kommt. Sie wissen nicht, dass Kakaobauern und -bäuerinnen einen sehr niedrigen Preis erhalten“, erzählt sie. An einem verkauften Schoko-Weihnachtsmann verdient eine Kakaobäuerin gerade einmal sechs Cent. Damit Kakaobauernfamilien über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen, müsste ihr Einkommen mindestens doppelt so hoch sein wie derzeit.

Kakaobäuer*innen sind auf die Arbeit ihrer Kinder angewiesen

Ghana ist der zweitgrößte Kakaoproduzent weltweit. 20 Prozent des weltweiten Kakaos stammen aus dem westafrikanischen Land. Elizabeth Osei Agyei erzählt, dass der Rohstoff für unsere Schokolade auf kleinen Flächen meist unter 5 Hektar in mühsamer Handarbeit angebaut wird. Etwa 800.000 Kleinbauern und  bäuerinnen in Ghana sind vom Kakaoanbau abhängig. Immer wieder gibt es Berichte über ausbeuterische Kinderarbeit. Weil sich die Bauern und Bäuerinnen keine angestellten Erntehelfer*innen leisten können, sind sie auf die Arbeit ihrer Kinder angewiesen. Diese tragen schwere Kakaosäcke, versprühen Pestizide – und gehen nicht zur Schule.

Kakaobäuer*innen erheben ihre Stimmen

Sandra Kwabea Sarkwah von der INKOTA-Partnerorganisation SEND-Ghana begleitet Elizabeth Osei Agyei während der zweiwöchigen Deutschland-Tour. SEND-Ghana hat für 45 Kakaobauernvertreter*innen aus fünf Kooperativen sogenannte Advocacy-Schulungen angeboten. Dabei haben die Teilnehmer*innen zunächst herausgearbeitet, welche zentralen Forderungen sie an die Politik haben. In Rollenspielen haben sie ihre Argumentationsfähigkeit geübt und von den Mitarbeiter*innen von SEND-Ghana Tipps für Verhandlungsstrategien erhalten. „Wenn wir in Ghana die Politik beeinflussen wollen, müssen wir auch die Medien mobilisieren. Wir haben deshalb mit den Teilnehmer*innen vor der Kamera geübt, wie sie in Interviews überzeugend ihre Forderungen vortragen“, erklärt Sandra Kwabea Sarkwah. „Es ist toll zu sehen, dass Elizabeth in Deutschland nun vor großem Publikum spricht, sich mit Bundestagsabgeordneten und Schokoladenfabrikanten trifft und Interviews für Radios und Zeitungen gibt.“ SEND-Ghana hatte spezielle Schulungen nur für Frauen angeboten, um sie besonders zu stärken. „In Schulungen stellen wir oft fest, dass Männer den Frauen ins Wort fallen. In den Schulungen nur für Kakaobäuerinnen hatten die Frauen die Möglichkeit sich in einem geschützten Raum im Argumentieren auszuprobieren. Es sind außerdem zusätzliche Probleme identifiziert worden, von denen besonders Frauen betroffen sind. Sie werden beispielsweise viel häufiger als Männer beim Verkauf ihrer Kakaobohnen durch manipulierte Waagen betrogen. Eine alleinstehende Kakaobäuerin traut sich oft nicht, gegen den Betrug zu protestieren. Von der ghanaischen Regierung fordern sie, dass alle Einkäufer dazu verpflichtet werden, elektronische und zertifizierte Waagen zu nutzen.

Weil der niedrige Kakaopreis das zentrale Problem für die Bäuerinnen und Bauern ist, hat SEND-Ghana eine Studie dazu in Auftrag gegeben. Der Handel mit Kakao in Ghana ist durch die staatliche Vermarktungsplattform COCOBOD reguliert. Jeweils zu Beginn der Erntesaison im Oktober wird der Kakaopreis festgelegt, der an die ghanaischen Bäuerinnen und Bauern gezahlt werden muss. Der Preis orientiert sich an den Erlösen, den COCOBOD am Weltmarkt erzielt. Ein Teil der Erlöse behält das COCOBOD ein – für Transportkosten, Qualitätskontrollen, Forschung und die Subventionierung von Dünger, Pestiziden und neuen Kakaopflanzen sowie für Sicherungssysteme gegen die schwankenden Weltmarktpreise. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Preispolitik der staatlichen Behörden intransparent ist.
Bei der Veröffentlichung der Studie ist der Veranstaltungsraum in Accra voll. Mehrere lokale Kamerateams und Radio-Journalisten sind anwesend. SEND hat zur Veröffentlichung auch die Kakaobauern und -bäuerinnen eingeladen, die an den Schulungen teilgenommen haben. „Kaum ein Bauer oder eine Bäuerin weiß, auf welcher Grundlage COCOBOD die Berechnungen zum Kakaopreis anstellt. Die fehlende Transparenz löst bei vielen Bauern und Bäuerinnen Unmut aus. Die Inflationsrate in Ghana ist mit knapp 10 Prozent extrem hoch. Wenn der Kakaopreis dann über drei Jahre stagniert, haben die Bauern am Ende immer weniger Geld in der Tasche“, erklärt Sandra Kwabea Sarkwah.

Adam Alhassan ist Kakaobauer und lebt im Dorf Abrokyire in der Ashantie Region. Er erzählt: „COCOBOD sagt, wir bekommen 30 Prozent des Weltmarktpreises, aber dafür kostenlose Pestizide und Kakaobäume. Doch in meinem Dorf ist davon in den vergangenen Jahren nichts angekommen.“ Nachdem Alhassan an den Trainings von SEND teilgenommen hatte, mobilisierte er mehrere Nachbar*innen und den lokalen Dorf-Chef. Gemeinsam setzten sie sich beim Distrikt-Department dafür ein, dass sie die notwendige Unterstützung erhalten. „Wenn wir unsere Rechte kennen, können wir uns auch dafür einsetzen, dass wir zu unserem Recht kommen. Das haben wir bei den Schulungen von SEND gelernt.“

Höchste Zeit für höre Preise

Sandra Kwabea Sarkwah ordnet den Kommentar von Kakaobauer Alhassan nochmals ein: „Adam hat es geschafft für sein Dorf Verbesserungen zu bewirken. Aber strukturelle Änderungen müssen auf nationaler und sogar internationaler Ebene passieren. Wir unterstützen die Bauern und Bäuerinnen deshalb auch dabei, Termine mit Vertreterinnen des Parlaments und der Ministerien zu vereinbaren. Nur wenn die Bäuerinnen und Bauern ihre Stimme laut erheben und für sich einstehen, wird die Politik auf ihre Forderungen reagieren.“ Dass die Frage nach einem fairen Preis nicht nur eine nationale Frage ist, sondern auch mit den internationalen Kakao- und Schokoladenkonzernen zusammenhängt, ist SEND-Ghana bewusst. Gemeinsam mit INKOTA fordert SEND daher auch die Schokoladenindustrie dazu auf, Kakaobauern und -bäuerinnen einen existenzsichernden Preis zu garantieren. Als im Oktober 2019 die World Cocoa Foundation, ein Verband der großen Kakao- und Schokoladenunternehmen, in Berlin zu ihrer Jahrestagung mit über 400 Teilnehmer*innen aus Politik und Wirtschaft einlädt, setzen sich SEND und INKOTA dafür ein, dass auch Kakaobauern und -bäuerinnen als Redner*innen eingeladen werden. Einer davon ist Pomasi Ismaila von der Kakaobauernorganisation Cocoa Abrabopa Association. Vor den Vertretern der großen Schokoladenkonzernen macht er in seiner Rede deutlich: „Kakaobauern haben kein existenzsicherndes Einkommen. Die Nachhaltigkeitsprojekte der Unternehmen werden dieses Problem allein nicht lösen. Es ist höchste Zeit, dass die Industrie endlich einen höheren Preis bezahlt.“

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