Noch dieses Jahr soll im wiederaufgebauten Berliner Schloss das umstrittene Humboldt Forum eröffnen. Darin werden tausende während der Kolonialzeit geraubte Objekte zu sehen sein. Im Südlink-Interview spricht Jürgen Zimmerer über seine Kritik an dem Forum, die Restitutionsdebatte und die noch immer verbreitete Verklärung der Kolonialzeit.

Ende 2019 soll in Berlin das Humboldt Forum eröffnet werden, das Sie seit Jahren kritisieren. Mittlerweile sind einige Änderungen im Gespräch, wie etwa die Schaffung eines Gedenkortes innerhalb des Gebäudes. Sehen Sie das ganze Projekt noch immer so kritisch?
Die Rhetorik hat sich geändert. Wie das Humboldt Forum tatsächlich mit seinem dreifachen kolonialen Erbe umgeht, wird sich aber erst zeigen müssen. Dazu gehören die geraubten Objekte, die Tradition des ethnologischen Blicks und das Gebäude, das über Wilhelm II. auch auf den Genozid an den Herero und Nama verweist. Ein „Raum der Stille“, wie es die Verantwortlichen teilweise propagieren, reicht hier sicherlich nicht. Dieser könnte in der Aufmerksamkeitskonkurrenz zwischen all den Ausstellungen nicht bestehen und wäre ein reines Alibi. Wenn tatsächlich an markanter Stelle auf den Kolonialismus hingewiesen würde, wäre das etwas anderes.

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Südlink 188 - Deutscher Kolonialismus
Wie die Vergangenheit die Gegenwart belastet | Juni 2019
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Südlink 188 - Deutscher Kolonialismus
Wie die Vergangenheit die Gegenwart belastet | Juni 2019
Der Versailler Vertrag besiegelte vor 100 Jahren das Ende des deutschen Kolonialreichs. Doch dessen Auswirkungen lasten bis heute auf den ehemaligen Kolonien. Das zeigt nicht nur die aktuelle Debatte um die Raubkunst in deutschen Museen. Im heutigen Namibia verübten…

Wie könnte das aussehen?
Ich hatte vorgeschlagen, den Schlüterhof mit Sand aus der Omaheke-Wüste zu befüllen, einem der Schauplätze des Genozids an den Herero. Zudem würde ich die pittoreske Barockfassade durch Stacheldraht brechen, der an die Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika erinnert. Im Grunde hat das Humboldt Forum genug damit zu tun, auf die räuberischen und ausbeuterischen Ursprünge seiner „ethnologischen“ Sammlungen hinzuweisen, und auf die Folgen, die der völkerkundliche Blick in der Vergangenheit für das koloniale Projekt und den Rassismus hatte. Daran wird es sich messen lassen müssen.

Was sollte an der Konzeption des Humboldt Forums überarbeitet werden?
Das lässt sich nicht beantworten, da über die Konzeption viel zu wenig bekannt ist. Die Intransparenz der Planungen, die Nicht-Einbeziehung etwa zivilgesellschaftlicher Gruppen und die Diskussion nur mit handverlesenen Gästen sind ebenfalls Probleme und vertane Chancen. Deshalb diskutiert die Öffentlichkeit mehr darüber, ob es freien Eintritt geben soll, als darüber, was gezeigt wird und wie.

Sie haben vorgeschlagen, das Humboldt Forum in Benin-Forum umzubenennen. Was würde das konkret ändern?
Die ethnologischen Sammlungen in Berlin verfügen über circa 550 Benin-Objekte. Nur das Britische Museum in London hat mehr. Diese Objekte stammen zu circa 95 Prozent aus der britischen Invasion des Königreichs Benin [auf dem Gebiet des heutigen Nigeria, Anm. d. Red.] und der anschließenden Plünderung von Benin-Stadt im Jahre 1897. Sie gehören zu den berühmtesten kolonialen Raubobjekten der Welt, deren Rückgabe seit mehr als 100 Jahren gefordert wird. Über 200 Objekte sollen im Humboldt Forum gezeigt werden.
Es wäre der koloniale Sündenfall des Forums, wenn dies einfach so geschähe. Die Umbenennung des Humboldt Forums oder eines substanziellen Teils davon in Benin-Forum wäre eine große, symbolische Geste. Und die ist nötig, um die koloniale Geschichte des Forums und seiner Sammlungen sichtbar und nachhaltig zu überschreiben. Aber darüber hinaus müssten die einst geraubten Objekte an Nigeria zurückgegeben werden.

Das heißt, man sollte sie gar nicht in Berlin zeigen?
Doch, aber als Leihgabe. Mein Vorschlag greift dabei eine Idee auf, die etwa in der Benin-Dialog-Gruppe diskutiert wird [einer Initiative, in der europäische Museen mit nigerianischen Partner*innen und dem Königshof von Benin zusammentreffen, Anm. d. Red.], wonach sich wichtige europäische Museen verpflichten, einige der Benin-Bronzen als Leihgabe nach Nigeria zu überstellen. Ich stelle diesen Vorschlag sozusagen vom Kopf auf die Füße: Man kann gestohlene Objekte nicht an die ursprünglichen Eigentümer zurückverleihen. Man kann aber das Eigentum restituieren und davon einige Objekte aus Nigeria in Berlin oder anderswo in Europa zeigen. Mit der dann fälligen Leihgebühr ließe sich der Aufbau musealer Infrastruktur in Nigeria fördern, als Verpflichtung des globalen Nordens, nicht als freiwillige „Hilfe“.

Verteidiger*innen des Namens argumentieren, die Gebrüder Humboldt stünden schließlich nicht für Kolonialismus, sondern für Aufklärung und Forscherdrang.
Es geht hier aber nicht um die Brüder Humboldt, sondern um ein Sichtbarmachen und eine dauerhafte Umkehrung des eurozentrischen, des kolonialen Blicks. Nur so kann das Forum zur Agora der Probleme und Themen der Zukunft, des 21. Jahrhunderts werden, als das es angepriesen wurde, statt ein Tempel für die einseitige Sicht einer wissenschaftlichen Entwicklung zu sein, die angeblich nur von Europa ausging.

 
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Der Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr an die französische Regierung vom November 2018 (siehe Rezension auf Seite 24) hat neuen Schwung in die Debatte um Restitution gebracht. Inwiefern sind die Forschungsergebnisse auf Deutschland übertragbar?
Die Kernbotschaft dieses wichtigen Berichts lautet, dass die meisten Objekte aus Afrika während der Epoche des Kolonialismus nach Frankreich gekommen sind. Deshalb stehen sie unter dem Verdacht, nicht freiwillig und nicht zu fairen Preisen abgegeben worden zu sein. Dies gilt genauso für Deutschland. Schließlich beschränkt sich diese Epoche, das Sammeln unter kolonialen Bedingungen, von der wir hier sprechen, ja nicht auf die Zeit des formalen deutschen Kolonialreiches und auch nicht auf die deutschen Kolonien.

Aus deutschen Museen selbst kommen Stimmen, die an dem Vorschlag kritisieren, dass sie selbst den Beweis erbringen sollen, wenn sie Kunstwerke mit Zustimmung der eigentlichen Besitzer*innen erworben haben. Warum ist dieser Ansatz sinnvoll?
Kolonialismus war ein rassistisches System strukturellen Unrechts mit einem teilweise enormen Machtgefälle. Deshalb ist zu vermuten, dass viele Objekte nicht freiwillig und zu fairen Preisen abgegeben wurden. Das ist einfach eine Frage der Wahrscheinlichkeit. Wenn diese Ausgangsvermutung im Einzelfall nicht zutrifft, dann kann das bewiesen werden. In der Bringschuld sind allerdings die Museen, sie waren und sind die Nutznießerinnen dieses System und sie verfügen über die Ressourcen, diesen Beweis zu führen.

Kritiker*innen einer weitgehenden Restitution wenden immer wieder ein, dass etwa in afrikanischen Ländern häufig gar nicht die Strukturen bestehen, um die Kunst aufzunehmen und der eigenen Bevölkerung in Museen zugänglich zu machen, dass wichtige Kunstwerke am Ende zerstört werden oder über den Kunstmarkt in Privathaushalten enden. Halten Sie diese Kritik für nachvollziehbar?
Die These, dass die Objekte in Europa sicherer seien, ist so alt wie das koloniale Sammeln selbst. Wer sie heute wiederholt, blendet die Verluste in zwei Weltkriegen aus. Relativ „sicher“ sind die Objekte also nur seit 1945. Auch die schlechteren Bedingungen in einem Teil der Museen des globalen Südens sind kein Argument gegen eine Rückgabe, wenn diese moralisch geboten ist. Es begründet eher die Verpflichtung, am Aufbau der musealen Infrastruktur mitzuwirken. Das geht etwa über eine Leihgebühr.

Die Kulturminister*innen der Bundesländer und zwei Staatsministerinnen haben sich Mitte März auf Eckpunkte zur Rückgabe geraubter Kulturgüter geeinigt. In der gemeinsamen Erklärung heißt es unter anderem: „Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte als Teil unserer gemeinsamen gesellschaftlichen Erinnerungskultur gehört zum demokratischen Grundkonsens in Deutschland.“ Wie bewerten Sie die Vereinbarung?
Dass es ein derartiges Papier gibt, ist sicherlich ein Fortschritt. Ich bedauere es aber sehr, dass sich die Politik nicht zu einer klaren Verurteilung des Kolonialismus als ein Verbrechen gegen die Menschheit hat durchringen können. Das erlaubt immer noch die moralisch höchst fragwürdigen Aufrechnungen der angeblich positiven Seiten des Kolonialismus gegen die negativen. Es erlaubt auch die Aufrechterhaltung der Fiktion, im Kolonialismus wäre nur im Einzelfall widerrechtlich Eigentum angeeignet worden. Was das Eckpunktepapier angeht, so wird man darauf schauen müssen, wie im Einzelnen damit umgegangen wird. Die Frage der Benin-Bronzen im Humboldt Forum und anderswo ist hier ein wichtiger Testfall.

Warum tun sich viele so schwer damit, den verbrecherischen Charakter des Kolonialismus anzuerkennen?
Eine positive Beurteilung des Kolonialismus ist eng verbunden mit einem unkritischen Selbstbild Europas. Wir verweisen gerne auf die Aufklärung oder die Menschenrechte, und vergessen dabei die andere Seite der Medaille zu erwähnen, nämlich die 600 Jahre kolonialer Ausbeutung. Letztere bettet eben auch die Errungenschaften Europas in die Verantwortung ein, die daraus für die ehemals kolonisierten Regionen entsteht.

Die deutsche Regierung hat sich bis heute nicht offiziell für Kolonialverbrechen wie den Genozid an den Herero und Nama entschuldigt. Ist das nur die Angst davor, möglicherweise Entschädigungen zahlen zu müssen?
Es ist die Angst davor, einen Präzedenzfall für Reparationen zu schaffen. Hier stehen weniger die anderen kolonialen Opfer im Vordergrund, sondern die Befürchtung, Reparationen für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zahlen zu müssen. Teilweise dürfte auch eine Rolle spielen, dass manche Kolonialismus nicht in seinem Charakter als Verbrechen gegen die Menschheit anerkennen wollen, sei es aus einer grundsätzlich revisionistischen Position oder aus kolonialer Amnesie.

Das Interview führte Tobias Lambert im April 2019.

Zum Autor

Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte mit dem Schwerpunkt Afrika an der Universität Hamburg. Er leitet zudem die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“.

Jürgen Zimmerer ist Professor für Globalgeschichte mit dem Schwerpunkt Afrika an der Universität Hamburg. Er leitet zudem die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“.

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