Südlink-Magazin

Düstere Aussichten

Afghanistans Taliban sind auf lange Zeit alternativlos

von Thomas Ruttig
Veröffentlicht 19. AUGUST 2021

Es sieht nicht gut aus für Afghanistan. 25 Jahre, nachdem die Taliban zum ersten Mal in Kabul einrückten – damals um einen Bürgerkrieg zu beenden –, eroberten sie nun zum zweiten Mal die afghanische Hauptstadt und beherrschen fast das gesamte Land. Diesmal besiegten sie eine US-geführte Koalition aus über 60 Ländern. Die vom Westen mit Milliarden aufgebauten Streitkräfte fielen nach dem Dominoprinzip um, die Regierung löste sich am Ende rapide in Luft auf.

Der bedingungslose Abzug der westlichen Truppen, auch im deutschen Fall kläglich über Nacht, hatte den afghanischen „Partner“ den moralischen Teppich unter den Füßen weggezogen. Das kulminierte in einer humanitären Katastrophe mit bislang einer halben Million neuen Binnenvertriebenen.

Nach 9/11 klammerten die Afghan*innen sich an die Hoffnung, dass die Anschläge ihr verarmtes, von rückwärtsgewandten Islamisten regiertes Land wieder auf die politische Agenda gesetzt hatten. Die Versprechen von Demokratie und Freiheitsrechten, auch für Frauen, klangen nach zwei Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft unter sowjetischer Besatzung, Mudschahedin- und Talibanregime für viele verheißungsvoll. Die politischen Hauptkräfte (allerdings ohne die Taliban) beschlossen auf der Bonner Konferenz Ende 2001, den Weg in Richtung Demokratie einzuschlagen.

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Aber im Westen verkamen die Versprechen mehr und mehr zum Lippenbekenntnis. Im „Krieg gegen den Terror“ brauchte er Verbündete und fand sie in den Warlords mit ihren Milizen, die er schon im Kampf gegen die Sowjets unterstützt hatte. Die wollten keine Demokratie, sondern verdienen. Im Ergebnis entstand eine Fassadendemokratie, beherrscht von einer korrupten Oligarchie auf der Basis reihenweise gefälschter Wahlen. Das brachte den Taliban neuen Zulauf als Anti-Okkupations- und -Korruptionstruppe.

Trump, America First und der Truppenabzugsbeschluss

Als die Taliban wieder stärker wurden, verließen sich Afghanistans politische Eliten – auch große Teile der Zivilgesellschaft – über Jahre darauf, dass die USA nach 1,5 Billionen US-Dollar Kosten ihr Land nicht fallen lassen könnten. Dann aber kamen Trump, America First und der Truppenabzugsbeschluss. Nach der Sowjetunion (1979-89) war nun auch der Westen mit seiner Intervention auf ganzer Linie gescheitert, und mit ihm die afghanischen Eliten, die seinem Kurs gefolgt waren.

Mit ihrem Abzug machten die USA den Taliban den Rückweg an die Macht frei, sagten ihrer „neuen islamischen Regierung“ sogar vorab weitere Mittel zu, wenn sie nicht wieder Terroristen freie Bahn gäben. Europa will Hilfe an Menschenrechte binden.

Eigentlich hätten die Afghan*innen selbst demokratisch entscheiden können müssen, was sie wollen. Aber der Westen enthielt ihnen die dafür notwendigen funktionierenden Institutionen vor. Mit dem Sieg der Taliban fiel selbst die demokratische Fassade. Und weit und breit keine Alternative. Ansätze dafür hatten schon vorher die Warlords plattgemacht.

Thomas Ruttig leitet seit 2009 das Afghanistan Analysts Network (Kabul/Berlin).

 

Thomas Ruttig leitet seit 2009 das Afghanistan Analysts Network (Kabul/Berlin).

 

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