„Ich hoffe, dass die Bundesregierung von diesem Unsinn absieht“ – so brachte Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), seine Ablehnung eines Lieferkettengesetzes zum Ausdruck. Bei reinen Stellungnahmen blieb es allerdings nicht: Mit gezieltem Druck auf Ministerien und Bundeskanzleramt versuchen Unternehmensverbände derzeit, eine gesetzliche Regelung für unternehmerische Sorgfaltspflichten zu verhindern.

Nachdem deutsche Unternehmensvertretungen schon 2016 bei der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschrechte (NAP) alle Hebel in Bewegung gesetzt hatten, um die Verbindlichkeit von Sorgfaltspflichten aus dem NAP zu streichen, richten sich die Bemühungen der Wirtschaftslobby derzeit auf eine Abschwächung des sogenannten „NAP-Monitorings“. Das Monitoring soll seit Herbst 2018 anhand einer Befragung von Unternehmen feststellen, inwieweit in Deutschland ansässige Firmen ihrer im NAP verankerten freiwilligen Sorgfaltspflicht bereits nachkommen. Sollte im Ergebnis weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen diese Verpflichtungen nicht umsetzen, will die Bundesregierung Ende 2020 ein entsprechendes Gesetz einführen.

Um dies zu verhindern, arbeiteten Unternehmensverbände daran, die Methodik dieses Monitorings so zu verwässern, dass möglichst viele Unternehmen den Anforderungen genügen werden. Im März 2019 scherten das Bundeskanzleramt und das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) unerwartet aus dem Konsens der anderen Ministerien zur Methodik aus und forderten weitreichende Änderungen. Die Auswertung verschiedener Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz zeigt, dass sich in der Zeit dieses interministeriellen Streits von Anfang März bis Ende Juli 2019 das BMWi elfmal mit Vertreter*innen von Unternehmen und Unternehmensverbänden zur Thematik des NAP-Monitorings traf. Auch im Auswärtigen Amt und im Bundeskanzleramt fanden mehrere Treffen statt. Wirtschaftslobbyist*innen wandten sich außerdem mit zahlreichen Schreiben an die Bundesregierung. Im Mai trat beispielsweise der BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter (der noch bis 2015 parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium war und so über beste Kontakte verfügt) in einem Brief in vertrautem Ton an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzleramtsminister Helge Braun („Lieber Peter“, „lieber Helge“) heran und bat „nachdrücklich“ um Unterstützung. „Die Frage, ob die Bundesregierung ein für die Wirtschaft derartig schädliches Gesetz […] einführt, darf nicht von einem untauglichen und das wirkliche Engagement der Unternehmen verzerrenden Monitoring abhängen […]. Vielmehr sollte die Bundesregierung weiterhin dem Freiwilligkeitsgrundsatz folgen und mit der Wirtschaft gemeinsam sachgerechte Vorgehensweisen entwickeln.“

Der Erfolg dieser Lobbyarbeit zeigt sich in einem weiteren Schreiben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) an Minister Altmaier, in dem sich dafür bedankt wird, „dass insbesondere Ihr Haus [das BMWi; Anm. der Red.] im Rahmen der Ressortgespräche bereit ist, die Wirtschaftsperspektive einzubringen.“ Die in den Ressort-Streit eingebrachten Forderungen des BMWi und des Kanzleramts für Änderungen am NAP-Monitoring deckten sich dann auch in vielerlei Hinsicht mit denen der Wirtschaftsverbände. Das BMWi setzte eine ganze Reihe von Änderungen der Methodik des Monitorings durch, welche die Anzahl der „Nicht-Erfüller“ in der Bewertung der Umfrageergebnisse deutlich senkt und ein Gesetz damit unwahrscheinlicher macht.

Unternehmensverbände machen Druck aufs BMZ

Massiven Druck bekam auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zu spüren, der sich erstaunt über den „Widerstand [gegen ein Lieferkettengesetz] aus organisierten Kreisen der Wirtschaft“ zeigte. Aus Müllers Ministerium (BMZ) war im Februar 2019 ein Gutachten zu einem Wertschöpfungskettengesetz an die Öffentlichkeit gelangt. In den folgenden Tagen erreichten das BMZ allein 13 Anfragen von Unternehmen und Unternehmensverbänden mit der Bitte um Zusendung des Gesetzentwurfs und für Gesprächsanfragen. Der Präsident von Gesamtmetall, Rainer Dulger, erklärte, dass „das Nachhaltige Wertschöpfungskettengesetz den im NAP […] angelegten Prozess ad absurdum [führt] und wir uns durch den Vorstoß Ihres Hauses hintergangen [fühlen].“ Außerdem sei  der Gesetzentwurf viel zu weitreichend. Im Mai wandte sich dann der BDA-Präsident Ingo Kramer in einem Schreiben an Bundesminister Müller. Mit Bezug auf ein vorheriges Gespräch der beiden im BMZ ermahnte Kramer Müller deutlich: „Ich hatte in diesem Gespräch den festen Eindruck gewonnen, dass Sie sich dieses Papier [den Gesetzentwurf] nicht zu eigen machen wollten. Ich hatte Sie auch so verstanden, dass Sie bereit wären, sich öffentlich von diesem Text zu distanzieren. […] Ich halte es für erforderlich, dass Sie Ihre Position klarstellen.“

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BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter beschwerte sich zusätzlich bei Kanzleramtsminister Braun über den Vorstoß des BMZ. Der Gesetzentwurf sei „absolut inakzeptabel“, wetterte Kampeter und bat Braun darum, die Gesetzesinitiative zu stoppen.

Positivere Rückmeldungen kommen von Seiten einzelner Unternehmen. So zeigte sich zum Beispiel Daimler in einem Gespräch mit Bundesminister Müller offen für eine gesetzliche Regelung. Auch andere Unternehmen wie KiK, Vaude, Tchibo oder BMW befürworten mittlerweile öffentlich ein Lieferkettengesetz.

Das NAP-Monitoring hat durch die vom BMWi durchgesetzten Verwässerungen jegliche Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und Repräsentativität verloren. Unabhängig vom Ergebnis des NAP-Monitorings ist ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfalt in Wertschöpfungsketten deutscher Unternehmen dringend erforderlich. Damit die jüngsten Anläufe für längst überfällige rechtsverbindliche Maßnahmen im Bereich „Wirtschaft und Menschenrechte“, aber auch notwendige Regulierungen für die Erreichung der Ziele nachhaltiger Entwicklung nicht wieder durch den Einfluss der Wirtschaft torpediert werden, müssen die Lobbyaktivitäten der Konzerne und ihrer Interessensvertretungen unbedingt begrenzt werden.

Karolin Seitz ist Programme Officer und Hanna Kieschnick ist Praktikantin beim Global Policy Forum. Karolin Seitz hat im November 2019 das ausführliche Briefing "Sorgfältig verwässert. Wie die Wirtschaftsverbände versuchen, ein Lieferkettengesetz zu verhindern" veröffentlicht.

Karolin Seitz ist Programme Officer und Hanna Kieschnick ist Praktikantin beim Global Policy Forum. Karolin Seitz hat im November 2019 das ausführliche Briefing "Sorgfältig verwässert. Wie die Wirtschaftsverbände versuchen, ein Lieferkettengesetz zu verhindern" veröffentlicht.

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