Die Analysen zahlreicher Forscher*innen über den Klimawandel sind durchaus differenziert. Demnach haben wir es mit einer vielschichtigen Umweltkrise zu tun. In der politischen Wirklichkeit beschränken sich die Debatten häufig jedoch auf die Verringerung des Ausstoßes von Kohlendioxid (CO2). Andere Dimensionen wie die Bedrohung der Biodiversität erhalten hingegen viel weniger Aufmerksamkeit. Höchste Zeit, daran etwas zu ändern. Ein Plädoyer.

Es ist ja nicht so, dass über das Artensterben nicht geredet würde. Es wird sogar sehr viel geredet. Und es fehlt nicht an „Weckrufen“. Der letzte und bisher mächtigste ist der Anfang Mai veröffentlichte, groß angelegte Bericht der Vereinten Nationen zum Artensterben. „Die Menschen sind dabei, ihre eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören", warnte auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze: „Die Herausforderungen beim Artensterben sind ähnlich groß wie beim Klimawandel. Darum hoffe ich, dass der Bericht eine vergleichbare politische Dynamik auslöst.“ Gut gesagt, aber was sind die Konsequenzen?

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Südlink 188 - Deutscher Kolonialismus
Wie die Vergangenheit die Gegenwart belastet | Juni 2019
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Südlink 188 - Deutscher Kolonialismus
Wie die Vergangenheit die Gegenwart belastet | Juni 2019
Der Versailler Vertrag besiegelte vor 100 Jahren das Ende des deutschen Kolonialreichs. Doch dessen Auswirkungen lasten bis heute auf den ehemaligen Kolonien. Das zeigt nicht nur die aktuelle Debatte um die Raubkunst in deutschen Museen. Im heutigen Namibia verübten…

Eigentlich wissen es alle: Die globale Umweltkrise ist multidimensional, Klimawandel dabei nur ein Aspekt. Die wohl populärste Systematisierung stammt von dem schwedischen Forscher Johan Rockström, dem heutigen Co-Direkter des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung. Im Jahr 2009 stellte er neun „Planetare Grenzen“ vor, die er mit seinem damaligen Team am Stockholm Resilience Centre identifiziert hatte: Ganz im roten Bereich liegt der Verlust der genetischen Vielfalt, der laut Rockströms Forschungsergebnissen weiter vorangeschritten und bedrohlicher als der Klimawandel ist.

Demnach wäre der Verlust der Biodiversität nicht nur eine ähnliche, sondern sogar eine größere Herausforderung als der Klimawandel. Das sieht etwas nach Opferkonkurrenz aus. Und die ist durchaus vorhanden. Denn es gibt schließlich nicht nur die Klimakonvention (UNFCCC), sondern auch die Konvention über Biologische Vielfalt (CBD) – beide 1992 in Rio de Janeiro verschiedet. In den Ergebnissen verbindet sie eine gewisse Erfolgslosigkeit, aber in der Aufmerksamkeitskonkurrenz fällt die CBD weit hinter die Klimakonvention zurück.

Die Umweltkrise ist viel mehr als ein CO2-Problem
Dabei gibt man sich doch Mühe. Nach dem Vorbild des „Weltklimarats“ IPCCC wurde ein Biodiversitätsrat mit der sperrigen Abkürzung IPBES (The Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) eingerichtet. Dieser tagte Anfang Mai in Paris und veröffentlichte eine umfassende Bestandsaufnahme über den Zustand der globalen Artenvielfalt. Über all das wird geflissentlich berichtet, aber irgendwie springt der Aufmerksamkeitsfunken nicht über. Ganz anders beim Klima: Da mischt Greta Thunberg seit vergangenem Jahr den Politikbetrieb auf und bringt unzählige Schüler*innen auf die Straße. Der Kampf gegen den Klimawandel hat ein populäres Gesicht bekommen, eine Ikone.

Der Befund ist eindeutig: Trotz differenzierter Analysen sind die globalen Umweltkrisen nun erfolgreich als Klimakrise „geframt“. Klima über alles – der Rest kommt dann. Das ist mehr als ein Marketingproblem, es geht um etwas ganz anderes. Denn durch das Überborden der Klimafrage ist die multiple Umweltkrise auf einen Faktor reduziert worden: Klimapolitik ist de facto zu einem Kampf gegen CO2-Emissionen geworden. „It‘s CO2, stupid“, scheint es uns überall entgegenzuschallen. Anders als in der komplexen Welt der Biodiversität ermöglicht der Klimareduktionismus eine simple und eingängige Kommunikation: Jede*r kennt das 2,0- oder 1,5-Grad-Ziel, aber wer kennt schon die Aichi-Ziele der CBD?

Die Umdefinition der globalen Umweltkrise zu einem Krieg gegen CO2-Emissionen ist nicht nur aufgrund der Verkürzung problematisch – er weist auch in die falsche Richtung. Es wird suggeriert, „unsere“ (imperiale) Lebensweise, unser Konsum an Materialien, unser Verkehrsmodell könnten einfach fortgeführt werden, sofern wir es denn CO2-neutral hinbekommen. Der CO2-Reduktionismus ist ein Gegenentwurf zu einer umfassenden ökologischen und sozialen Transformation.

Natürlich sehen die meisten Klimaretter*innen den Klimawandel nicht als isolierten Faktor, und natürlich sind positive Rückkoppelungen zwischen dem Erhalt der Biodiversität und der Bekämpfung des Klimawandels möglich. So ist man sich weitgehend einig, dass artenreiche Laubwälder dem Klimawandel besser widerstehen können als Monokulturen. Aber wenn es zu praktischen politischen Vorschlägen kommt, besticht die CO2-Logik durch Einfachheit und Umsetzbarkeit.

 
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Dies wird durch die Omnipräsenz der Forderung nach einem Preis für CO2 als Lösung für alles verstärkt. Es ist inzwischen kaum noch möglich, dagegen zu argumentieren, ohne marginalisiert zu werden. Aber der Preis auf CO2 ist kein guter Wegweiser für eine ökologische Transformation. Ein kleines Beispiel: Die CO2-Bilanz von Hühnerfleisch ist besser als die von Gemüse. Wer das nicht glaubt, kann es in der WWF-Broschüre „Klimawandel auf dem Teller“ auf Seite 27 nachlesen. Das liegt an der Massentierhaltung und der so klimafreundlich kurzen Lebensdauer der Hühner. Die pure CO2-Bilanz spricht für die Massentierhaltung – und noch für vieles anderes, etwa für Atomenergie.
Das ist zwar für Deutschland kein Thema, aber in Europa sehr wohl. Im Energiemix Schwedens stammen 40 Prozent der Stromerzeugung aus Atomkraft – begünstigt durch die CO2-Besteuerung. Auch die heftig kritisierten Agrartreibstoffe (Biosprit) können auf eine Renaissance hoffen. Man schaue nur in die Studie des Vereins CO2 Abgabe e.V., in dem sich angesehene Klimaschützer*innen engagieren. In seinen Szenarien soll der Anteil der Agrotreibstoffe am Energiemix deutlich erhöht werden.

Die Klimakrise ist zu komplex für einfache Lösungen
Bedrohlicher aber ist, dass uns von Klimakonferenzen und den Berichten des IPCC immer intensiver entgegenschallt, es gehe nicht ohne negative Emissionen. Das Wortmonster dringt immer mehr in die Umgangssprache zumindest der Klimadiskurse ein. Bioenergie mit CO2-Speicherung (BECCS) soll diese Wunder vollbringen, verbunden mit massiven Aufforstungen. Flächen vor allem im globalen Süden sollen unseren angeblich unverzichtbaren CO2-Konsum kompensieren – darauf laufen viele Klimalösungen hinaus. Mit dem Ziel, die Biodiversität zu bewahren, ist dies kaum vereinbar. Und eine ganze Kohorte von Verkünder*innen (falscher) Lösungen bringt sich bereits in Stellung: Sie propagieren Gentechnologie, Synthetische Biologie, Big Data und natürlich Geoengineering – alles neu legitimiert durch den Klimawandel.

Die Dringlichkeit zu betonen, mit der etwas gegen den Klimawandel getan werden muss, ist angesichts der skandalösen Untätigkeit der Politik verständlich. Aber das kann auch dazu führen, alles zu akzeptieren, was im „Krieg“ gegen CO2 Erfolge verspricht. Die Klimakrise ist nämlich kein Blockbuster, in dem die guten Klimaretter*innen gegen die bösen Trumps und Bolsonaros dieser Welt stehen. Die Welt ist komplexer und unter den Fahnen der Klimarettung werden immer mehr gefährliche Lösungen propagiert.
Angesichts der existierenden und beschworenen Dringlichkeit für Komplexität zu plädieren ist schwierig, aber notwendig. Die Debatte um Biodiversität darf daher nicht marginalisiert werden. Sie reflektiert zumindest, wie komplex das Netz des Lebens ist, das mehr ist als eine CO2-Bilanz. Und der zweite, große blinde Fleck der Klimadebatte sollte ebenfalls nicht vergessen werden: die Ungleichheit. Es ist sind nicht „wir, die Menschen“, sondern global gesehen eine kleine Minderheit, die den Großteil der natürlichen Ressourcen verbraucht und das meiste Kohlendioxid emittiert.

Der Dringlichkeitsdiskurs darf uns nicht mit einer Welt versöhnen, in der ein Preis auf CO2 als Allheilmittel gilt, das Verbot von SUVs oder Kurzstreckenflügen aber undenkbar ist. Daher ist die Panik, die Greta propagiert, zwiespältig. Panik verengt den Blick, sie bereitet den Boden, alles im Kampf gegen CO2 zu akzeptieren.

Zum Autor

Thomas Fatheuer ist freier Autor, Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) und Vorstandsmitglied des Brasiliennetzwerkes KoBra.

Thomas Fatheuer ist freier Autor, Mitarbeiter des Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) und Vorstandsmitglied des Brasiliennetzwerkes KoBra.

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