Autos gehören zu den Hauptverursachern des Klimawandels, eine Abkehr vom Verbrennungsmotor mit seinem hohen CO2-Ausstoß ist dringend nötig. Doch allein die Umstellung des Verkehrs auf Elektromobilität ist zu wenig, auch batteriebetriebene Fahrzeuge sind nicht unproblematisch. Denn die dafür benötigten metallischen Rohstoffe werden in vielen Fällen auf Kosten von Mensch und Umwelt in Ländern des globalen Südens abgebaut. Ziel muss daher auch die Abkehr vom motorisierten Individualverkehr sein.

Die Klimakrise ist eine der größten Herausforderungen und Gerechtigkeitsfragen unserer Zeit. Wenn es nicht gelingt, den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, werden sich die fatalen und bereits heute spürbaren Folgen des Klimawandels in den kommenden Jahrzehnten massiv verschärfen. Bedroht sind insbesondere die Menschen im globalen Süden und die ärmsten Bevölkerungsschichten weltweit, die sich viel schlechter vor den Folgen des Klimawandels schützen oder finanziell dagegen absichern können. Schon heute gefährden Dürren, Trockenheit und Überschwemmungen in Folge des Klimawandels im globalen Süden die Ernährungssicherheit zahlreicher Menschen.

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Südlink 185 - Verkehrswende jetzt!
Wie sie global gerecht gelingen kann | September 2018
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Wie sie global gerecht gelingen kann | September 2018
Klimawandel, Dieselskandal und Automanager im Gefängnis: Das Auto, einst das Statussymbol der Deutschen schlechthin, ist in der Krise. Und das ist gut so. Denn dies erleichtert die dringend nötige Abkehr vom motorisierten Individualverkehr, ohne die eine nachhaltige Verkehrswende nicht…

„Der Klimawandel trifft im Tschad vor allem die Fischer, Jäger, Hirten und Bauern. Als Nomaden züchten wir Rinder. Wir haben besonders mit Wassermangel zu kämpfen. Die Seen trocknen jetzt sehr schnell aus und die Jahreszeiten kommen nicht mehr regelmäßig, so wie es früher war. Es geht nicht mehr ‚nur‘ um die Umwelt, sondern um Menschenleben und letzten Endes auch um das Überleben der Menschheit – nur uns trifft es eben zuerst“, berichtet Hindou Oumarou Ibrahim, Koordinatorin der Frauenvereinigung der Peulh im Tschad.

Die für die Wasserversorgung in vielen Gegenden elementaren Gletscher in Alpen, Anden oder Himalaya schmelzen rasant ab. Allein in Asien sind rund zwei Milliarden Menschen von der Wasserversorgung durch die rund 10.000 Gletscher im Himalaya abhängig. Gleichzeitig bedroht der steigende Meeresspiegel viele Regionen der Welt. Besonders gravierend sind die Auswirkungen für Inselstaaten wie Tuvalu. Aber auch für Millionenstädte wie Hongkong, Mumbai, Jakarta, Buenos Aires oder New York könnte der Anstieg des Meeresspiegels bereits bei einer weltweiten Erwärmung von zwei Grad Celsius zum Problem werden. Um die gravierendsten Auswirkungen der Klimaerwärmung noch zu begrenzen, müssen die CO2-Emissionen weltweit schnell und umfassend verringert werden.

Der Verkehr zerstört das Klima
Um einen fairen Beitrag zum Erreichen des 1,5 Grad-Limits zu leisten, müssten die CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahr 2035 auf null sinken. Das ist insbesondere für den Verkehrssektor eine große Herausforderung. Denn im Gegensatz zu allen anderen Sektoren sind die CO2-Emissionen seit dem Jahr 1990 nicht gesunken, sondern noch weiter angestiegen. Rund ein Fünftel der deutschen Treibhausgasemissionen werden derzeit durch den Transport von Personen und Gütern verursacht. Autos sind die größte Quelle. Ein Grund ist, dass die steigende Zahl der Autos immer größer und schwerer wird. Während beispielsweise der VW-Käfer im Jahr 1948 rund 600 Kilogramm auf die Waage brachte, wiegt ein VW-Golf heute weit über 1.000 Kilogramm. Das treibt den Spritverbrauch und damit auch die CO2-Emissionen in die Höhe.

Auch aus Gründen der Umweltgerechtigkeit wäre es dringend geboten, die Zahl der Autos, die mit ihnen gefahrenen Kilometer und deren Größe deutlich zu reduzieren. Denn unter Luftschadstoffen wie Stickoxiden und Feinstaub, aber auch unter dem Verkehrslärm leiden ärmere Bevölkerungsschichten statistisch gesehen weit häufiger als Menschen mit viel Geld. Wer es sich leisten kann, wohnt in der Regel nicht an viel befahrenen Straßen.

Elektrofahrzeuge können helfen, die Schadstoffemissionen zu verringern. Wirklich klimafreundlich und nachhaltig sind aber auch Elektroautos erst, wenn der Ausstieg aus Kohle, Atom, Öl und Gas im Stromsektor geschafft ist. Dann bleibt noch der Lärm. Denn ab einer Geschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde ist nicht das Motorengeräusch die primäre Lärmquelle, sondern das sogenannte Reifen-Fahrbahn-Geräusch.

Auch am enormen Flächenverbrauch des Straßenverkehrs ändert eine bloße Umstellung auf Elektromotoren nichts. Die seitens der Bundesregierung proklamierte Verkehrswende muss also mehr beinhalten als den Wechsel der Antriebstechnologie. Sie muss es schaffen, die Zahl der Autos und die mit ihnen zurückgelegten Wege drastisch zu senken. Dies wäre auch aus rohstoffpolitischer Sicht zu begrüßen.

Der Stoff, aus dem Autos sind
Autos verbrauchen Rohstoffe – ganz unabhängig vom Antrieb. Neben Kunststoffen und Glas vor allem große Mengen metallischer Rohstoffe. Zwischen 50 und 60 Prozent eines Autos bestehen aus Eisen und Stahl. Aluminium und Kupfer spielen eine immer bedeutendere Rolle. Die deutsche Industrie ist bei allen metallischen Rohstoffen zu fast 100 Prozent auf Importe aus dem Ausland angewiesen, häufig aus Ländern des globalen Südens. Dort werden die Rohstoffe oftmals unter verheerenden Bedingungen für Menschen und Umwelt aus der Erde geholt.

Für die Batterien in Elektroautos spielen Rohstoffe wie Lithium, Kobalt, Nickel und Graphit eine bedeutende Rolle. Eine Autobatterie braucht je nach Reichweite zwischen 8 und 40 Kilogramm Lithium. Allein die Verkäufe von E-Autos in China werden voraussichtlich dazu führen, dass die Lithium-Nachfrage bis zum Jahr 2040 auf bis zu 750 Prozent der aktuellen Produktion steigt.

Bei der Gewinnung einer Tonne Seltener Erden entstehen 75 Tonnen säurehaltigen Abwassers. 1,5 Kilogramm Seltener Erden sind in einer Lithium-Ionen-Batterie verbaut. „Eine der schlimmsten Umweltschäden, die ich während meiner Recherchen in China gesehen habe, sind die ‚Seen‘ von giftigen Abfällen, die sich rund um Baotou befinden. Dort gibt es mehrere Dörfer, wo die Menschen als Folge der enorm hohen Schwermetallkonzentrationen im Boden früher als normal sterben“, beschreibt Guillaume Pitron, Buchautor und Journalist, das Elend rund um den Abbau von Seltenen Erden.

Auch Schwefeldioxid- und Arsen-Emissionen aus Kupferhütten sind trotz technologischer Fortschritte nicht zu verhindern. Der Kupferbedarf eines E-Autos ist viermal so hoch wie bei einem herkömmlichen PKW. Der Bergbau verbraucht große Mengen Wasser und macht es den Menschen und dem Ökosystem vor Ort streitig. In der chilenischen Atacama-Wüste, in der die weltweit größte Kupfermine Chuquicamata liegt, ist der Bergbau für 70 Prozent des Wasserverbrauchs verantwortlich.

Auch Erdöl wird zu fast 100 Prozent nach Deutschland importiert. In Form von Diesel und Benzin treibt es so gut wie alle Autos hierzulande an. Im Jahr 2016 war der Verkehrssektor der größte Energieverbraucher. In Zukunft wird Deutschland statt Kohle, Öl und Erdgas möglicherweise erneuerbare Energien importieren. Der Strombedarf wird durch die Elektrifizierung von Verkehr und Wärme deutlich ansteigen. Wie stark der Anstieg ausfallen wird, ist umstritten und hängt von vielen Variablen ab. Viele Studien gehen jedoch davon aus, dass Deutschland in Zukunft erneuerbare Energien in Form von Strom oder synthetischen Kraftstoffen importieren wird. Zum Beispiel aus nordafrikanischen Staaten, Wassermangel oder Landnutzungskonflikte könnten die Folgen sein.

Sowohl Autos mit Verbrennungsmotor als auch jene mit Elektroantrieb sind also problematisch – vor allem, wenn sie in großen Mengen verwendet werden. Verkehrspolitische Entscheidungen müssen all dies beachten und dreifach tragfähig sein: Die Verkehrsmittel der Zukunft müssen CO2-frei sein, ihre Hersteller müssen menschenrechtliche Verantwortung entlang der Lieferkette gewährleisten und die Menge der verbrauchten Rohstoffe darf nicht die planetarischen Grenzen überschreiten.

Die Bundesregierung tut sich bei all diesen Punkten schwer. Der Koalitionsvertrag preist Mobilität als „eine zentrale Grundlage für individuelle Freiheit“ an, genannt wird sie in einem Atemzug mit der Automobilindustrie. Die Plattform „Zukunft der Mobilität“ soll sich der „Weiterentwicklung der Automobilindustrie“ widmen. Vom Ende des Verbrennungsmotors, der Verringerung des Rohstoffverbrauchs oder weniger Autos ist hingegen nichts zu lesen.

Die deutschen Autobauer verschlafen die Zukunft
Auch Elektromobilität ist also nicht unproblematisch. In Zukunft wird sie jedoch eine immer größere Rolle spielen. Die deutsche Politik und Industrie hinken im internationalen bei deren Ausbau stark hinterher. Während Elektroautos in Deutschland nach wie vor eine Ausnahmeerscheinung sind, fährt in Norwegen bereits jeder dritte Neuwagen elektrisch. Ab dem Jahr 2025 sollen in dem skandinavischen Land überhaupt keine Verbrennungsmotoren mehr neu zugelassen werden. Indien, die Niederlande, Großbritannien und Frankreich haben ähnliche Regelungen erlassen.

Pläne für ein Ende von Benzin- und Dieselfahrzeugen sucht man im Koalitionsvertrag der Großen Koalition hingegen vergeblich. Stattdessen sollen Fahrverbote und Hardware-Nachrüstungen bei manipulierten Dieselfahrzeugen unter allen Umständen vermieden werden. Noch trägt jedes fünfte Auto, das heute weltweit verkauft wird, das Logo eines deutschen Herstellers. Das könnte sich bald ändern. Bei der Elektromobilität und der Produktion der in Elektroautos eingesetzten Batteriezellen haben nämlich andere Länder die Nase vorn. Insbesondere chinesische Hersteller könnten der deutschen Autoindustrie in Zukunft große Konkurrenz machen.

Alle deutschen Autobauer sind auf den Import der Batteriezellen angewiesen, in denen rund ein Viertel der Wertschöpfung eines Elektroautos steckt. Für die rund 800.000 Beschäftigten in der deutschen Autoindustrie ist das eine schlechte Nachricht. Politik und Industrie verlagern die realen Kosten des Verkehrs systematisch nach außen. Die Folgen sind in den Ländern des globalen Südens vor allem beim Abbau der Rohstoffe deutlich zu spüren: Dazu zählen Landverlust, schwindendes Grundwasser, Kobaltstaub, die Vergiftung der Umwelt mit Zyanid und vieles mehr. Aber auch die vom Verkehr angeheizte globale Klimaerwärmung bekommen die Menschen im globalen Süden viel stärker zu spüren. Das ist nicht nur eine Frage der Mobilität, sondern ein höchst kritisches politisch-wirtschaftlich-gesellschaftliches Grundmuster im globalen Norden.

Die Bundesregierung hat sich zwar zur Einhaltung der Pariser Klimaziele und dem Erreichen der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) verpflichtet. Doch sie unternimmt viel zu wenig, um diese Ziele zu erreichen. Dies gilt auch, wenn es darum geht, endlich die deutsche Unternehmen zur menschenrechtlichen Sorgfalt entlang globaler Lieferketten zu verpflichten: Regelmäßig gibt die Bundesregierung dem Widerstand der Industrieverbände nach.

Mobil mit weniger Autos
Um den absoluten Verbrauch an Rohstoffen, Energie und Fläche durch den Verkehrssektor zu verringern, muss die Zahl der Autos in Deutschland massiv sinken – unabhängig vom Antrieb. Das wäre nicht nur ein Gewinn für Klima, Umwelt, Gesundheit und Menschenrechte weltweit, sondern könnte gerade in Städten die Lebensqualität deutlich verbessern. Eine repräsentative Umfrage des Bundesumweltministeriums (BMU) im Jahr 2017 ergab, dass eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland nicht mehr so stark auf das Auto angewiesen sein möchte. Der Umfrage zufolge wünschen sich 79 Prozent einen Ausbau der Alternativen zum Auto in der eigenen Stadt oder Gemeinde.

Das hört sich vielversprechend an und klingt, als wäre Deutschland bereit für einen Kulturwandel weg vom motorisierten Individualverkehr. Mobilität darf dabei weiterhin zur im Koalitionsvertrag gewünschten individuellen Freiheit beitragen, nur spielt diese sich dann zu Fuß, auf Pedalen oder in geteilten Fahrzeugen ab. Doch statt die Verkehrswende in Deutschland endlich einzuleiten, sind Industrie und Politik hierzulande vor allem damit beschäftigt, das Ende des Verbrennungsmotors möglichst weit hinauszuzögern. Der Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie ist sich trotzdem sicher: „Nicht mehr lange, dann werden wir uns in die Augen schauen und uns fragen: Hatten wir wirklich mal eigene Autos? Wie absurd!“

Viele Städte machen weltweit längst vor, dass eine Abkehr vom Auto mit dem nötigen politischen Willen möglich ist. In Paris dürfen ab 2024 keine Dieselautos mehr fahren, ab 2030 werden auch Benziner aus der Stadt verbannt. Oslo möchte ab 2019 überhaupt keine privaten PKW mehr ins Stadtzentrum lassen. Madrid und Barcelona geben dem Autoverkehr in Zukunft schlichtweg weniger Raum. Kopenhagen und Amsterdam machen seit Jahren vor, wie der Anteil des Radverkehrs durch eine gute Infrastruktur erheblich gesteigert werden kann. Wer in Tallin wohnt, kann kostenlos die öffentlichen Nahverkehrsmittel nutzen.

Eine Studie von Wuppertal-Institut und Greenpeace zeigt, dass es möglich wäre, den Verkehr in Deutschland in Einklang mit den Pariser Klimazielen bis 2035 CO2-frei zu gestalten und dabei die Zahl der Autos um mehr als die Hälfte zu reduzieren. Worauf wartet die Bundesregierung?

Zu den Autorinnen

Beate Schurath ist Referentin für Ressourcengerechtigkeit bei INKOTA und widmet sich der Frage, wie bei der Rohstoffnutzung für Zukunftstechnologien, Industrie 4.0 und Elektromobilität menschenrechtliche und ökologische Standards garantiert werden können.

Beate Schurath ist Referentin für Ressourcengerechtigkeit bei INKOTA und widmet sich der Frage, wie bei der Rohstoffnutzung für Zukunftstechnologien, Industrie 4.0 und Elektromobilität menschenrechtliche und ökologische Standards garantiert werden können.

Laura Weis ist Referentin für Klima- und Ressourcengerechtigkeit bei PowerShift und arbeitet zu den Themen Erdgas, Fracking, Kohleausstieg in Deutschland und den entwicklungspolitischen Folgen der deutschen Verkehrspolitik.

Laura Weis ist Referentin für Klima- und Ressourcengerechtigkeit bei PowerShift und arbeitet zu den Themen Erdgas, Fracking, Kohleausstieg in Deutschland und den entwicklungspolitischen Folgen der deutschen Verkehrspolitik.

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