Südlink-Magazin

Wenn die Haare im Fahrtwind wehen

Allzeit bereit und unglaublich cool – eine Liebeserklärung ans Fahrrad.

von Cornelia Kobell
Veröffentlicht 3. JUNE 2020

Kein Stau, gute Gespräche und Entspannung nach einem langen Arbeitstag. Besser auf dem Fahrrad sitzen, als sich in ein stinkendes Auto zwängen, findet unsere Autorin, die ihre große Liebe zum Zweirad schon als Fünfjährige entdeckt hat. Es gibt viele gute Gründe fürs Fahrrad fahren – und verschafft ebenso viele schöne Gefühle.

Es fing an, als ich fünf war. Nachdem ich zum ersten Mal Rad gefahren bin, ohne umzufallen, hat es nur wenige Wochen gedauert, bis ich es für angemessen hielt, meine Radelkünste (einmal im Kreis fahren) vom Publikum mit Eis belohnt zu bekommen. Seither bin ich viele Kilometer gefahren, und nebenbei ist eine große Liebe entstanden – in guten wie in schlechten Zeiten.

Letztere gibt es ja ab und an. Diese Tage, an denen sich Schwere, Unlust und Trägheit breit machen. Kennen sicher alle. Ein kleiner Ritt auf dem Fahrrad kann das sofort verändern. Aufsteigen, einmal um den Block fahren, und schon wirken die Dinge leichter, weniger starr, in Bewegung, freier. Ich kann wieder denken. Der Fahrtwind, die vorbeiziehenden Bilder, die mir weniger Zeit zum Verharren lassen als beim Spaziergang, aber mehr als im Bus oder in der Bahn.
Ich muss gestehen (und das klingt nun vielleicht etwas seltsam): Ich fühle mich auf meinem Fahrrad auch einfach unendlich cool. Wenn der Wind die Haare nach hinten weht, ich um eine Straßenecke biege und mich dann sogar noch in einer Schaufensterscheibe spiegele, denke ich manchmal: „Wow, nicht schlecht.“ Das muss ein Fortbewegungsmittel erst mal schaffen. Wenn ich mich dagegen in einem Auto vorstelle – no way! Oder im vollen Linienbus. Es ist einfach wunderbar, sich in der Stadt, in der so vieles groß und laut ist, motorisiert und elektrifiziert, aus eigener Kraft fortzubewegen. Selbst zu entscheiden, ob ich die Abkürzung nehme oder den vorgesehenen Weg, in die Pedale stampfe oder mich dahingleiten lasse. Richtig krass wird es, wenn ich mit Freundinnen so Girlgang-mäßig auf dem Rad unterwegs bin und wir einander Raum auf der Straße verschaffen.

Beim gemeinsamen Fahrradfahren kommen manchmal die besten Gespräche zustande! Auf den ersten Blick klingt es vielleicht unpraktisch, mit vielen Leuten durch die Stadt zu fahren, aber tatsächlich ermöglicht das Fahrradfahren ganz andere Gesprächsdynamiken. Eine Ampel, ein Überholmanöver oder auch eine viel befahrene Strecke bieten charmante (und manchmal auch schadensreduzierende) Denkpausen im Gespräch.

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Praktizierter Feminismus

Noch besser geht das natürlich bei Radausflügen. Zum Beispiel der Havel-Radweg. Mit vielen Freund*innen und auf zwei Rädern durch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt – was haben wir da philosophiert! Und gesehen, und erlebt! Und schon mal mit der Geliebten durch die Weinberge entlang der Mosel gerauscht? Wegen der Hitze das T-Shirt ausgezogen und dann schmunzelnd festgestellt, wie alle Welt den Damen mit BH und Rennrädern hinterherschaut? Wenn das mal kein praktizierter Feminismus ist.

Aber hey, es geht natürlich nicht nur um Coolness. Das Fahrrad und ich, dieses Verhältnis ist auch der Gradmesser meines Erwachsenwerdens (… und ein bisschen auch meiner Spießbürgerlichkeit). Von meinem ersten Gehalt – es wurde überwiesen, aufs Konto, jeden Monat – hab ich mir gleich mein erstes eigenes, neues Fahrrad gekauft. Besitz, hurra! Und weil's so teuer war, gleich noch eine Diebstahlversicherung dazu. Mit der Liebe wachsen die Ansprüche...

Und dann sind da auch noch die Fahrradtaschen. Gelb sind sie in meinem Fall, habe ich schon eine ganze Weile. Die sind vielleicht nicht so sexy, aber da passt ja soooo viel rein. WG-Einkauf für hundert Euro? Kein Problem, die riesigen Dinger machen's möglich. Mein Kumpel sagt dann immer, „hier kommt die Postkutsche“. Geschenkt. Er kommt zu jedem zweiten Treffen zu spät, weil die Bahn Verspätung hat. Oder neuerdings, weil er keinen Parkplatz findet für das Carsharing-Auto. Der Gute ist ein echtes Großstadtkind, aber nicht von jener Sorte, die ihren Eltern schon in jungen Jahren heldenhaft durch den Verkehr folgten.

Mir hingegen, das muss ich an dieser Stelle gestehen, wurde die Liebe zum Rad schon auch anerzogen. Meine Eltern hatten vier Kinder, zwei Jobs und zwei Autos. Und ein Haus auf dem Land. Das Dorf mit der Schule, dem Supermarkt und der Eisdiele war einige Kilometer entfernt – wie die Siedlungen, wo all meine Freund*innen wohnten. Und irgendwie haben es meine Eltern nicht eingesehen, dass es doch eigentlich ihre Aufgabe ist, ihre Kinder mit ihren Autos durch die Gegend zu kutschieren.

Nicht einmal der Konfirmationsunterricht konnte sie überzeugen. Die Erinnerung, wie ich mit Regenhose, Regenjacke und Gummistiefeln dort hinfuhr, hat sich ziemlich tief festgesetzt. Ebenso wie das verschmitzte Gesicht meines Vaters, wenn ich bei ihm mit der Bitte vorstellig wurde, mich irgendwo hinzufahren. Dann fing er, der eigentlich kein ausgeprägter Fan von Queen war, inbrünstig an zu singen: „I want to ride my bicycle / I want to ride it where I like.“
Noch heute habe ich, wenn ich morgens mein Fahrradschloss aufschließe, diese Zeilen manchmal im Kopf. Der Kaffee ist getrunken, die Haustür geschlossen, mein Rad erwartet mich im Hinterhof. An dieser Stelle möchte ich, auch wenn diese Liebeserklärung in erster Linie dem Fahrradfahren an sich gilt, die Chance nutzen, meinem auserwählten Rad kurz etwas mitteilen: Big love!

Ich hoffe, wir haben noch ein paar Jahre zusammen. Mussten ja so manches Mal die Kette ölen; und die ein oder andere größere Reparatur stand auch schon an. Aber insgesamt läuft's echt gut mit uns. Und wenn es eines Tages vorbei ist, gilt natürlich: Andere Läden haben auch schöne Räder. Hauptsache, die Liebe bleibt!

Cornelia Kobell ist freischaffende Künstlerin und freihändige Radlerin. Sie hängt meistens in Berlin, Bochum oder München herum. Die dazwischenliegenden Entfernungen überwindet sie mit Telegramm und dem Zug.

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