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Mit ‚Trinkgeld‘ gegen Armut von Schuharbeiter*innen?

Gemeinsam mit dem Unternehmen "Tip me" hat der Schuhhersteller Ethletic in seinem Onlineshop die ‚Trinkgeld‘-Funktion eingeführt. Ist dies ausreichend, um Ausbeutung zu stoppen?

von Anne Neumann
Veröffentlicht 16. DEZEMBER 2019

Gemeinsam mit dem Unternehmen Tip me hat der Schuhersteller Ethletic in seinem Onlineshop die‚ Trinkgeld‘-Funktion eingeführt: Beim Kauf eines Produkts kann man entscheiden, ob man 0, 1, 3 oder 5 Euro ‚Trinkgeld‘ an die Näher*innen in der pakistanischen Fabrik spendet, die die Schuhe für Ethletic nähen. Mit dem, globalen Trinkgeld‘ versprechen die beiden Unternehmen Verbraucher*innen

  • eine direkte Kommunikation mit den Schuh-Produzent*innen, die eine Wertschätzung für die geleistete Arbeit zum Ausdruck bringt;
  • transparente Einsicht in die Lieferkette des Herstellerunternehmens;
  • die Sicherheit, dass die Arbeiter*innen aus der Schuhproduktion mit 100% des Trinkgeldbetrags finanziell unterstützt werden.

Tip me setzt dabei auf neue technische Möglichkeiten: Geldauszahlung via Mobiltelefon und Nachverfolgbarkeit via Blockchain. Und auf ein direktes Selbstwirksamkeits-Erlebnis: Mit dem ‚Trinkgeld‘ kann jede*r in all der Komplexität von Lieferketten und Welthandel trotzdem direkt zu einer gerechteren Welt(wirtschaft) beitragen. Dafür hat Tip me 2018 den Fairtrade-Award in der Kategorie Nachwuchs gewonnen.

Unübersichtliche Transparenz

Doch obwohl Tip me ein Transparenzversprechen gibt, bleibt es relativ mühsam herauszufinden, wie mit dem Trinkgeld welche Arbeiter*innen unterstützt werden. Der Begriff ‚Trinkgeld‘ und Slogans wie „I made your shoes“ suggerieren zwar, dass das Geld direkt in voller Höhe an die Arbeiter*innen geht, die die Schuhe geklebt und genäht haben. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings ein anderes Bild: Das Trinkgeld wird an die Workers Welfare Society der Ethletic-Fabrik in Sialkot (Pakistan) weitergeleitet, die das Geld dann treuhänderisch verwaltet und gerecht an die Gesamtbelegschaft der Fabrik verteilt. Es bleibt unklar, ob das Geld in voller Höhe an die Arbeiter*innen zur individuellen freien Verfügung weitergeleitet wird, oder ob Teile des Geldes auch über die Workers Welfare Society in kollektive Investitionen fließen. Der Grund für dieses Verfahren wird auf dem Blog von Ethletic genannt: „[…W]ir wollen nicht, dass die einen im Betrieb mehr verdienen als die anderen. Wie wir alle wissen, kann das manchmal zu Problemen führen. Und wir wollen ja das Leben besser machen und nicht komplizierter.“ Was also von dem Versprechen übrigbleibt, man würde über das genannte Verfahren ganz direkt mit Arbeiter*innen in Verbindung treten, ist fraglich.

Außerdem bleibt unklar, warum so eine zusätzliche ‚Trinkgeld‘-Maßnahme in einer nach Eigenauskunft von Ethletic bereits als „fair“ beschriebenen Produktionsstätte überhaupt notwendig ist. Die Kund*innen werden an dieser Stelle nicht darüber informiert, was Ethletic eigentlich selbst tut, um existenzsichernde Löhne in seiner Lieferkette zu zahlen.

Trotzdem kann man positiv festhalten, dass den Arbeiter*innen mehr Geld zur Verfügung steht, als es ohne Tip me der Fall wäre. Das ist angesichts der erschreckenden Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen, die Schuhe herstellen, nicht zu unterschätzen. INKOTA hat dies mit den Partnern von Change Your Shoes in verschiedenen Ländern in Asien und Osteuropa dokumentiert.

Bei aller Kritik und allem Hinterfragen: Eine Initiative wie Tip me kann ein wichtiger Anfangsmoment sein, sich mit Ungerechtigkeiten im Weltwirtschaftssystem zu beschäftigen. Wenn es irgendwo ein ‚Trinkgeld‘ für Arbeiter*innen gibt, stellen sich einige Menschen vielleicht zum ersten Mal wichtige Fragen: Wer hat meine Schuhe eigentlich hergestellt und was hat dieser Mensch verdient? Mit dem ‚globalen Trinkgeld‘ werden Ethletic-Kund*innen dazu angeregt, mit einem finanziellen Beitrag direkte Solidarität mit Arbeiter*innen im globalen Süden zu zeigen und sich für einen besseren Lohn zu engagieren. Tip Me versucht eine Alternative zu etablieren, wo andere Unternehmen mit Ausreden kommen. Das Verfahren ändert jedoch wenig an ungerechten Strukturen im Weltwirtschaftssystem. Außerdem wird die Verantwortung für Existenzlöhne so tendenziell vom Unternehmen und politischen Rahmenbedingungen auf die Verbraucher*innen verlagert.

Lieferkettengesetz statt Trinkgeld

Wenn es um einen Lohn zum Leben geht, reicht es nicht Trinkgeld zu geben. Unternehmen müssen vieles ändern und dazu zählt auch die Einkaufspraktik. Dann kann ein Existenzlohn für jede*n garantiert werden. Wir brauchen strukturelle Veränderungen.

Petition unterzeichnen

Stoppen Sie Gewinne ohne Gewissen!

Brennende Fabriken, Kinderarbeit, zerstörte Regenwälder? Schluss damit: Sorgen Sie jetzt dafür, dass deutsche Unternehmen auch im Ausland Menschenrechte achten und Umweltzerstörung unterlassen. Stoppen Sie Gewinne ohne Gewissen, unterzeichnen Sie jetzt die Petition für ein Lieferkettengesetz!

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