Südlink-Magazin

Das Geschlecht des Wassers

Wasser als Menschenrecht – in El Salvador wird vehement für dieses Konzept gekämpft. Besonders von Frauen.

von Michael Krämer und Lorena Valle Cuéllar
Veröffentlicht 1. MÄRZ 2024

Die Hälfte der ländlichen Bevölkerung in El Salvador hat keinen Zugang zur staatlichen Wasserversorgung. Sie ist auf selbstorganisierte Wassersysteme angewiesen, die viel zu wenig Unterstützung von der Regierung bekommen. Der Kampf um eine bessere Wasserversorgung ist auch einer für mehr Geschlechtergerechtigkeit.

„El agua no se vende, se cuida y se defiende!“ – „Das Wasser wird nicht verkauft, es wird geschützt und verteidigt!“. Seit vielen Jahren hallt dieser Spruch bei Demonstrationen durch die Straßen von San Salvador, der Hauptstadt des mittelamerikanischen Landes El Salvador. Wasser soll allen zugutekommen, nicht nur Wohlhabenden und Unternehmen, so die Forderung. Weil sich der Staat traditionell viel zu wenig um die Besitzlosen kümmert, entstanden schon seit den 1970er Jahren erste „juntas de agua“. Diese „Wasserräte“ organisieren die Wasserversorgung in Armenvierteln und ländlichen Regionen. Bis 2015 waren nach Angaben des staatlichen Wasserversorgers ANDA über 2.300 Wasserräte entstanden. Sie belieferten gut 1,6 Millionen Menschen mit Wasser, mehr als ein Viertel der gesamten salvadorianischen Bevölkerung und mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf dem Land. Sie bohrten Brunnen, errichteten Tanks, verlegten Leitungen und pflanzten Bäume, um die Quellgebiete zu schützen.

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Südlink 207 - Wasser
Zwischen Mangel und Überfluss | März 2024
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Seit 2010 gibt es das von den Vereinten Nationen verabschiedete Menschenrecht auf Wasser. Doch noch immer haben mehr als zwei Milliarden Menschen keinen gesicherten Zugang zu sauberem Wasser – die große Mehrheit von ihnen im Globalen Süden.

Ohne die Arbeit der Wasserräte stünde es schlecht um die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser. Das liegt aber nicht nur an der unzureichenden staatlichen Infrastruktur. Ein weiterer Grund ist das neoliberale Prinzip, aus allem eine Ware machen zu wollen. Auch deshalb hat die damalige konservative Regierung in den 1990er Jahren das Planungsministerium abgeschafft, das damit beauftragt war, ein Wassergesetz zu erarbeiten. Im Jahr 2006 präsentierten mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen einen Gesetzesvorschlag für ein integrales Wassergesetz. Er sah Wasser als ein Menschenrecht, ein Konzept, das die Vereinten Nationen erst vier Jahre später beschlossen.

Ende 2021 verabschiedete das Parlament mit den Stimmen der Regierungspartei Nuevas Ideas ein von ihr eingebrachtes Gesetz. Zwar erkennt dieses das Menschenrecht auf Wasser ausdrücklich an, in der Praxis steht es ihm jedoch eher entgegen. Die als Teil dies Gesetzes neu aufgebaute Wasserbehörde stellt enorme bürokratische und juristische Anforderungen an die von den Wasserräten in den letzten Jahrzehnten aufgebauten kommunalen Wassersysteme. Viele haben Schwierigkeiten bei der juristischen Anerkennung ihrer Vorstände und Strukturen und laufen Gefahr, ihre Brunnen oder Wassertanks zu verlieren, wenn sie zum Beispiel keine Besitzurkunden vorlegen können. Außerdem müssen sie für das Wasser, das sie aus selbst errichteten Brunnen fördern oder aus Quellen, die sie selbst erschlossen haben, nun bezahlen.

Zwei Frauen im Vordergrund einer Demo. Eine Frau hält ein Schild mit der Aufschrift: El agua no se vende - Das Wasser steht nicht zum Verkauf
Jemand sticht eine Nadel mit Faden durch einen Lederschuh.
Eine Frau und ein Kind stehen auf einem Feld. Die Frau bearbeitet den Boden mit einer Hacke.

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El Salvadors Präsident Nayib Bukele ist dabei, das Land autoritär umzugestalten, da stören unabhängige zivilgesellschaftliche Initiativen, zu denen auch die Wasserräte zählen. Vor allem, wenn sie sich gegen Vorhaben von Unternehmen zur Wehr setzen, die die Wasserversorgung in ihren Gemeinden gefährden. Wie etwa das Projekt einer riesigen Hühnerzucht in der Gemeinde La Mora im Landkreis Suchitoto mit einer geplanten jährlichen Kapazität von drei Millionen Küken. Mit dem juristischen Beistand der Menschenrechtsorganisation Fespad stellt sich die Frauenorganisation Colectiva Feminista para el Desarollo Local („Feministisches Kollektiv für lokale Entwicklung“) gegen den Bau des Megaprojekts, das enorme Mengen Wasser verbrauchen und die Versorgung der umliegenden Gemeinden gefährden würde. Das Projekt an sich kann wohl nicht mehr gestoppt werden. In dem laufenden Gerichtsverfahren könnte das Unternehmen, das die Kükenzucht aufbaut, aber zum Bau einer Kläranlage verpflichtet werden. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger hatte deutlich gemacht, dass ohne solch eine Anlage vor allem in der Regenzeit eine Verschmutzung der umliegenden Wasserquellen zu erwarten sei.

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Wasserrechte sind Frauenrechte

Unterstützung erhalten die Organisationen Fespad und Colectiva Feminista von INKOTA im Rahmen eines Programms für das Menschenrecht auf Wasser in El Salvador. Wasser ist ein zentrales Ausgabenfeld von Colectiva Feminista. Denn am Wasser zeigt sich deutlich die Benachteiligung von Frauen in den ländlichen Regionen. Kochen, Waschen, Putzen, Kinderhygiene – sie leisten die meisten Arbeiten im Haushalt, für die Wasser benötigt wird. Fast vier Stunden pro Tag – so die Ergebnisse einer Untersuchung zur Zeitverwendung – verbringen salvadorianische Frauen im Durchschnitt mit diesen Tätigkeiten. Und so müssen sie manchmal mehrere Stunden am Tag dafür aufwenden, eine ausreichende Menge Wasser heranzuschaffen.

So verwundert es nicht, dass besonders Frauen in den jahrzehntelangen Kämpfen für eine besser Wasserversorgung in El Salvador – und in vielen anderen Ländern – eine zentrale Rolle spielen.

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Gleichwohl waren sie lange Zeit in den Entscheidungsstrukturen der Wasserräte unterrepräsentiert. In Suchitoto und den umliegenden Landkreisen arbeitet Colectiva Feminista seit einigen Jahren daran, dieses Ungleichgewicht zu beenden. Mit einigem Erfolg. In der Projektregion von Colectiva Feminista ist der Frauenanteil in den Vorständen der Wasserräte und der Wassersysteme deutlich gestiegen.

Colectiva organisiert spezielle Kurse zum Empowerment von Frauen, arbeitet aber auch mit gemischten Gruppen. Denn es reicht nicht, die Frauen zu stärken. Um die Strukturen der Ungleichheit zu verändern, muss auch der tief verwurzelte Machismo der Männer angegangen werden. Sonst, so eine Erfahrung des Colectiva Feminista, bekommen die Frauen zwar mehr Einfluss in Entscheidungsgremien, häufen aber zusätzlich zu ihrer übermäßigen Arbeit in Haushalt und Kindererziehung sowie bei der beruflichen Arbeit, eine weitere Aufgabe an. Aus dem traditionellen doppelten Arbeitstag wird dann ein dreifacher.

Klar ist: Die Männer müssen mehr Verantwortung in der Sorgearbeit übernehmen – auf familiärer und kommunaler Ebene. Dafür kämpfen Colectiva Feminista und viele Frauen in El Salvador – und für ein Menschenrecht auf Wasser, das auf Geschlechtergerechtigkeit zielt.

 
 

Michael Krämer ist Programmkoordinator El Salvador bei INKOTA.

Lorena Valle Cuéllar ist Feministische Ökonomin und arbeitet unter anderem zum Thema Wasser und Feminismus in El Salvador.

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