Fatna zeigt Narben | Foto: Simone Schlindwein
Südlink-Magazin

„Die Hölle auf Erden“

In der sudanesischen Region Darfur ist mutmaßlich ein Völkermord im Gange.

von Simone Schlindwein
Veröffentlicht 4. FEBRUARY 2025

Die Millionenstad El-Fasher in Darfur ist seit Mai umzingelt und belagert von den paramilitärischen Truppen der RSF. Nur wenigen Menschen gelang die Flucht. Diejenigen, die es hinausgeschafft haben, berichten von grausamen Gräueltaten, die die Miliz an den nicht-arabischen Volksgruppen begeht. Das Weltgericht sucht nun nach Zeugen, die bereit sind, gegen die Täter auszusagen. 

Es war am Abend des 15. Juni, als bewaffnete Uniformierte ihr Haus in der sudanesischen Stadt El-Fasher, stürmten, berichtet die 32-jährige Sudanesin Fatna. Tränen kullern über ihre Wangen, während sie erzählt. Mit ihrem Kopftuch versucht sie diese wegzuwischen. Doch die Erinnerungen an das Grauen, das sich in ihrer Heimatstadt vor wenigen Wochen ereignete, sind nicht so einfach zu retuschieren.

Die Mutter von fünf Kindern schlief in jener Nacht mit ihrem Sohn auf der Veranda. Es war heiß, kein Lüftchen regte sich. Ihr Mann ist Lastwagenfahrer und war unterwegs. Plötzlich standen bewaffnete Männer im Garten, Mitglieder der Miliz RSF (Rapid Support Forces), ist Fatna sich sicher: „Sie verlangten, dass wir ihnen unsere Telefone und Geld aushändigen“, erzählt sie. Der 16-jährige Sohn weigerte sich. Da rammten sie ihm ein Messer in den Bauch und warfen Fatna auf den Boden. Sie hebt ihr Kopftuch ein wenig. Ihr Hals ist voller Narben – dort wo einer seine Fingernägel in ihre Haut gekrallt hatte. Er würgte sie, während er sich an ihr verging. „Ich habe schier keine Luft mehr bekommen“, schluchzt sie. 

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Sechs Wochen danach sitzt die Frau in einem Café in Ugandas Hauptstadt Kampala und ist bereit, ihre Geschichte zu erzählen. Zu ihrem eigenen Schutz hat sie sich einen anderen Namen, Fatna, ausgesucht. Zehn Tage hat sie mit ihren Kindern gebraucht für die 2.000 Kilometer von Darfur bis hierher. Sie ist eine von wenigen, die es in den vergangenen Wochen aus der umzingelten Millionenstadt hinausgeschafft haben. 

Als „Hölle auf Erden“ haben die Vereinten Nationen (UN) El-Fasher bezeichnet. Denn die Bezirkshauptstadt von Nord-Darfur wird belagert von der RSF-Miliz unter ihrem Kommandanten Mohammed Daglo, alias Hametti. Die RSF kämpft seit April 2023 gegen Sudans Armee (SAF) um die Vorherrschaft. Der Krieg, der damals in Sudans Hauptstadt Khartum begann, hat sich mittlerweile auf das gesamte Land ausgeweitet. In Darfur hat die RSF die größten Erfolge erzielt und versucht nun seit Mai, El-Fasher unter Kontrolle zu bringen. 

Dabei begeht sie systematische Verbrechen an der Bevölkerung. Vom Stadtrand aus bombardiert die RSF die Wohnviertel. Nur wenige Tage nach der Vergewaltigung traf eine Mörsergranate Fatnas Wohnzimmer: „Der Fernseher zerbarst in tausende Teile.“ Niemand wurde verletzt, doch das Haus war unbewohnbar. „Von da an suchten wir Schutz in Schulen“, berichtet die Frau unter Tränen. „Doch auch diese wurden bombardiert“, sagt sie. 

„Wir irrten umher, aber es gab nichts zu essen, alles war geschlossen.“ Fatna lief mit ihren Kindern ins 15 Kilometer entfernte Vertriebenenlager ZamZam. Doch auch dort gibt es keine Lebensmittel. Denn die internationalen Hilfswerke haben seit Mai keinen Zugang. Das UN-Welternährungsprogramm (WFP) schlägt Alarm über die Hungerskatastrophe, die in ZamZam um sich greift. Fast eine Million Menschen suchen unter freiem Himmel Schutz. „Ein grausamer Ort, keinen Tag lang wollte ich dortbleiben“, sagt Fatna: „Dort verhungern Kinder qualvoll.“ 

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Gegen Männer richtet sich die Gewalt ähnlich brutal. So berichtet es ein 45-jähriger Bauer aus einem Dorf nördlich von El-Fasher. Er will zu seinem Schutz Kabaya genannt werden. Von den RSF-Milizionären, die ihn an einer Straßensperre entführten und wochenlang folterten, wurde er mit „Fulul“ oder „Abulda“ beschimpft, beides arabische Begriffe, mit der die RSF Leute wie Kabaya kennzeichnet, die von der Zaghawa-Ethnie abstammen. Er hat Grausames durchgemacht. Davon zeugen die Narben auf seinem Rücken, die von der Folter herrühren. 

Und auch die Trauer übermannt ihn immer wieder. Seine zwei Kinder und seine Frau starben bei einem Angriff auf ihr Dorf am 25. Mai. Damals zog die RSF ihre Kämpfer rund um El-Fasher zusammen. Auf dem Weg zum Lager wurde er von der RSF gefangengenommen. Sie fesselten ihn und schlugen ihn. Er bekam Urin und Benzin zu trinken. Zuletzt vergewaltigten sie ihn mit Glasflaschen: „Ich konnte zwar am Ende fliehen“, stottert Kabaya unter Tränen, „doch sie haben nichts von meinem Leben übriggelassen.“ 

„Wir ermitteln bereits“

Die UN-Sonderbeauftragte für Völkermordprävention, Alice Wairimu Nderitu, warnte bereits im Juni vor „Anzeichen eines Genozids“ in Darfur. Wegen Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord hat auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag Ermittlungen aufgenommen. Doch dabei stoßen die Ermittler auf jede Menge Hürden. 

Anfang August wandte sich Chefankläger Karim Khan an den UN-Sicherheitsrat in New York. Dringlichkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben: „Terror ist zu einer gängigen Währung geworden“, so Khan über die Lage in Darfur: Dann blickt er in die Kamera und wendet sich direkt an Hametti und dessen Gegenspieler, SAF-General Abdel Fattah al-Burhan: „Ich möchte ganz offen klarstellen, dass wir bereits Ermittlungen durchführen.“

Doch dabei ist der IStGH auf Unterstützung angewiesen, denn das Weltgericht hat in Sudan kein Mandat. Sudan hat das Rom-Statut, auf welchem der IStGH aufbaut, nie unterzeichnet. Um Zeugen für die derzeitigen Verbrechen zu finden, ist das Gericht daher auf Mithilfe angewiesen: „Wir appellieren an alle Opfergruppen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, nationalen Behörden und internationalen Partner, die dazu in der Lage sind, mit meinem Büro Kontakt aufzunehmen“, so Khan: Sie sollen helfen, „Beweise und Materialien zu den anhaltenden Gräueltaten bereitzustellen, die der Zivilbevölkerung in Darfur zugefügt werden“.

Eine dieser Organisationen ist das Darfur Netzwerk für Menschenrechte (DNHR, Darfur Network for Human Rights) in Kampala. Direktor Mohammed Hassan ist eben aus Den Haag zurückgekehrt, wo er den Ermittlern eine Datenbank überreichte. Darin sind Namen wie die von Fatna verzeichnet, begangene Verbrechen gelistet. Mehr als 7.000 Opfer wurden interviewt. 

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Wir wollen, dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden“, erklärt Hassan. Er sitzt an seinem Schreibtisch in einem Bürogebäude von Kampala. Im Vorzimmer tippen dutzende Übersetzer*innen Aussagen ab. Was in der Summe herauszulesen ist, so Hassan, sei eine Art „Systematik“: „Viele Vergewaltigungen geschehen mit dem Zweck der Bestrafung“, fasst Hassan zusammen. 

Hassan kennt die RSF. Er ist in den 1990er Jahren in der darfurischen Stadt Nyala aufgewachsen. Als die Reiter-Milizen, aus denen sich später die RSF formierte, 2003 begannen, die Dörfer der nicht-arabischsprachigen Volksgruppen niederzubrennen, verlor er seine Eltern und fand sich selbst in einem Vertriebenenlager wieder. Nach der Schule eröffnete er 2014 eine Facebook-Seite, auf welcher er Verbrechen dokumentierte. Dafür wurde er 2016 verhaftet. Als er freikam, floh er nach Uganda, wo er 2017 DNHR gründete. Seither führt er mit Hilfe internationaler Partner wie Amnesty International Interviews mit Geflüchteten: „Wir wollen, dass die Welt die Wahrheit erfährt, was in Darfur geschieht.“ 

Nirgendwo sicher 

Uganda ist eines der liberalsten Länder, um als Geflüchtete*r aufgenommen zu werden. Über 1,7 Millionen Flüchtlinge leben hier, davon über 60.000 Sudanes*innen. Jeden Tag werden es mehr. 

Viele schlagen bei Adam Salih auf. Der Vorsitzende der sudanesischen Flüchtlingsgemeinde sitzt in einem Büro. Hinter ihm hängt eine sudanesische Flagge. Im Vorzimmer sitzen Sudanes*innen. Salih hat viel zu tun. Derzeit ist er beschäftigt mit Geburtsurkunden. Frauen, die im Sudan vergewaltigt wurden, gebären nun ihre Babys in Uganda, können aber keinen Vater angeben. „Ich regle das dann, indem ich die Sachlage erkläre“, nickt Salih

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Er selbst ist aus Darfur geflohen, lebt seit 2011 in Uganda. Mit dem jüngsten Ansturm seiner Landsleute wächst ihm alles über den Kopf. „Wir haben so viele Probleme“, seufzt er und zählt auf: Vergewaltigte Frauen oder Folteropfer, die medizinische Hilfe benötigen; Kinder, die nicht zur Schule gehen, weil sie schwer traumatisiert sind. Das größte Problem sei jedoch die Sicherheit. „Die RSF hat ihre Leute entsandt, um uns mundtot zu machen.“ 

Salih zeigt auf sein Handy: „Ich werde in Whatsapp-Gruppen eingeschüchtert.“ Er wagt es jedoch nicht, mit den Problemen zur Polizei zu gehen, sagt er leise: „Wer weiß, wer in diesen Behörden mit der RSF verbandelt ist.“ Mitarbeiter des Flüchtlingsministeriums bestätigen dies. Dies sei mitunter der Grund, warum viele Sudanesen nicht in den Flüchtlingslagern unterkommen wollen, denn dort sei die RSF präsent. Auch Fatna hat Drohungen erhalten, als sie sich via Whatsapp mit Frauen über gynäkologische Behandlungen austauschte: „Sie sagen, wir hätten das verdient“, schluchzt sie in ihr Kopftuch. Sie bete, dass sie diese Männer bald vor Gericht stellen, sagt sie und wischt Tränen mit dem Kopftuch weg: „Ich bin bereit, gegen sie auszusagen.“ 

 

Simone Schlindwein ist Korrespondentin der tageszeitung für Zentral- und Ostafrika und Redakteurin des Südlink

 

Foto: Simone Schlindwein

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