Handyreparatur | Foto von Kilian Seiler auf Unsplash
Südlink-Magazin

Gegen die Verschwendung

In Berlin soll mit neuen Ansätzen und Ideen ein anderer Umgang mit Rohstoffen erreicht werden

von Julius Neu
Veröffentlicht 2. FEBRUARY 2023

Das Ziel der Berliner Umweltverwaltung, auf die Vermeidung von Müll zu setzen, ist ambitioniert. Die Stadtpolitik darf aber nicht beim Müllproblem im öffentlichen Raum Halt machen, sondern muss auch den Ressourcenverbrauch reduzieren. Dafür muss aber zunächst einmal bekannt sein, wie viel Mengen an Rohstoffen die Stadt überhaupt verbraucht. Zahlreiche Initiativen deuten darauf hin, dass Berlin bei der Einsparung von Rohstoffen Fortschritte machen könnte. Doch es braucht langfristige öffentliche Förderung.

Kann Berlin zur Zero Waste-Stadt werden, also eine Politik von »Null Müll« oder besser »Null Verschwendung« umsetzen? Wer durch die Straßen läuft und an illegal abgelagertem Sperrmüll, verdreckten Parks oder überquellenden Mülleimern vorbeikommt, glaubt nicht unbedingt daran. Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen. In der Stadt gibt es schon länger zahlreiche spannende Ideen und Projekte für einen innovativen Umgang mit Müll und Rohstoffen.

Publikation
Südlink 202 - Rohstoffwende
Ein anderer Umgang mit Ressourcen ist notwendig | Dezember 2022
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Südlink 202 - Rohstoffwende
Ein anderer Umgang mit Ressourcen ist notwendig | Dezember 2022
Unser Ressourcenhunger ist nicht nachhaltig. Die Rohstoffförderung geht häufig mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltkatastrophen einher. Wir brauchen daher eine Rohstoffwende, die unter anderem den Ressourcenverbrauch deutlich verringern müsste. Das bedeutet auch,…

Diese Projekte sind auch nötig. Denn der sichtbare Müll auf den Straßen ist ohnehin nur die Spitze des Eisbergs, die auf ein viel grundlegenderes Problem hindeutet: eine lineare Wegwerfwirtschaft (produzieren, konsumieren, entsorgen). Bei Zero Waste denken viele an mitgebrachtes Essen in der Frischhaltedose, Möbel aus Europaletten oder den Jutebeutel zum Einkaufen. Falsch ist das nicht, geht es bei dem Ansatz doch vor allem darum, Müll möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Befürworter*innen setzen zuerst auf Prinzipien wie Verzicht, Wiederverwendung, Reparatur und erst dann auf Recycling. Zero Waste kann allerdings auf allen Ebenen der Gesellschaft umgesetzt werden. Deshalb ist der Ansatz wichtiger Teil einer grundlegenden Rohstoffwende. Denn wie bei anderen Themen des ethischen oder nachhaltigen Konsums gilt auch hier: Ohne eine Veränderung von gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen stoßen individuelle Bemühungen zwangsläufig an Grenzen oder bleiben auf gesellschaftliche Nischen beschränkt.

Städte als Orte der Rohstoffwende

Berlin hat sich mit seiner Zero-Waste-Strategie zumindest beim Thema Müll auf den Weg zu einem anderen Umgang mit Rohstoffen gemacht. Das ist höchste Zeit. Städte sind global für bis zu 70 Prozent der Treibhausgasemissionen und des Rohstoffverbrauchs verantwortlich. Nicht nur der Kampf gegen die Klimakrise, sondern auch für die Rohstoffwende wird daher zu einem guten Teil in Städten gewonnen oder verloren. Doch wie viele Rohstoffe kommen überhaupt in die Hauptstadt, um in Gebäuden, Autos oder elektronischen Geräten verbaut zu werden? Die ehrliche Antwort ist: Das weiß niemand so genau. Beim Müll, dem Output, gibt es alle zwei Jahre Zahlenmaterial. Dagegen existieren zum Rohstoffverbrauch der Stadt nur sehr grobe Schätzungen. Das macht es derzeit technisch unmöglich, konkrete Reduktionsziele zu formulieren und politisch zu steuern, um sie zu erreichen. So wissen wir zwar beispielsweise, dass jede*r Berliner*in im Schnitt pro Jahr etwa 220 Kilogramm Restmüll wegwirft – Städte wie Ljubljana, die bei Zero Waste eine Vorreiterrolle spielen, liegen etwa bei der Hälfte.

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Wir haben aber keine Ahnung, welche Mengen an Rohstoffen sich in der Stadt ansammeln. Das ist problematisch. Denn wenn wir unseren Rohstoffhunger und seine global zerstörerischen Folgen für Mensch und Natur ernsthaft eindämmen wollen, brauchen wir diese Informationen. Amsterdam ist dabei wegbereitend und zeigt, wie es geht. Die Stadt möchte ihren Rohstoffverbrauch bis 2030 halbieren und bis 2050 eine vollständige Kreislaufwirtschaft erreichen, sodass Materialien und Produkte so lange wie möglich wiederverwendet werden. Dazu baut die Stadtverwaltung ein eigenes Monitoring auf, das den Zielfortschritt misst und eine Steuerung erst möglich macht.

Berlin auf dem Weg zur ressourcenleichten Stadt?

Doch zurück nach Berlin. Wo liegen die Potenziale der Stadt, ihren Verbrauch an Rohstoffen grundsätzlich zu verkleinern? Zunächst sind dabei natürlich die Mobilitäts- sowie Bau- und Wohnwende zu nennen. Eine Stadt, in der Straßen oder Wohnraum gemeinwohlorientiert verwaltet, geplant und genutzt werden, verringert ihren Rohstoffbedarf und ermöglicht die Teilhabe von allen Bewohner*innen. Neue Stadtautobahnen für mehr motorisierten Individualverkehr, der stadtweite Bau von Luxusapartments, Bürohochhäusern oder Einkaufsmalls sind aus dieser Sicht nicht nur sozialpolitisch fraglich. Sie bedeuten schlicht eine gewaltige Verschwendung von Rohstoffen. Ebenso zentral ist es, Materialkreisläufe innerhalb der Stadt zu schließen. Was dabei Hoffnung macht? In Berlin hat sich in den letzten Jahren eine vielfältige und innovative Szene aus Akteur*innen entwickelt, die genau daran arbeiten. Sie setzen nicht erst bei der Entsorgung, sondern schon beim Design und der Nutzung von Gegenständen an. Dazu zählen Gebrauchtwarenkaufhäuser und Secondhandläden genauso wie Repair-Cafés und offene Werkstätten, Leih- und Tauschplattformen oder Initiativen und Start-ups, die sich dem Upcycling oder reparaturfreundlichen Design verschrieben haben. Die Stadtverwaltung tut gut daran, dieses Wissen zu nutzen und vorhandene Strukturen zu stärken. Im nächsten Jahr soll eine bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) angesiedelte Zero Waste-Agentur ihre Arbeit aufnehmen und ein Reparaturnetzwerk eingerichtet werden. Es wird von zentraler Bedeutung sein, die zu einem großen Teil ehrenamtlich getragenen, lokalen Initiativen verstärkt und langfristig zu fördern. Vorzeigeprojekte wie das Haus der Materialisierung machen zahlreiche Projekte nachhaltiger Ressourcennutzung in der Praxis erfahrbar.
Sie brauchen dauerhafte Standorte und langfristige Finanzierung. Die Stadt muss auch beim Thema öffentliche Beschaffung mehr tun, schließlich kauft sie selbst jährlich Produkte für mehrere Milliarden Euro ein. Umweltbezogene und soziale Aspekte werden dabei bislang nicht wirklich zusammengedacht. Berlin verschleppt bereits seit zwei Jahren die Überarbeitung einer neuen Vorschrift. Das ist symptomatisch: Die globalen Auswirkungen des Rohstoffverbrauchs der Stadt auf Menschen und Umwelt im globalen Süden oder das Klima werden noch zu wenig einbezogen und kommuniziert.

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Der Weg Berlins zur Rohstoffwende, Kreislaufwirtschaft und Zero Waste ist also noch weit. Die stadtpolitische Diskussion in dieser und anderen deutschen Städten darf nicht beim Müllproblem im öffentlichen Raum und damit an der Oberfläche verharren. Lernen kann Berlin dabei auch von Beispielen aus dem globalen Süden. Die philippinische Stadt San Fernando verbot Plastiktüten komplett, in Indien gibt es seit Jahrzehnten den Essenslieferdienst Dabbawala, der ohne Wegwerfverpackungen auskommt und in Ghana ist wie in vielen anderen Ländern des globalen Südens eine Kultur des Reparierens völlig alltäglich.

 

Julius Neu arbeitet bei INKOTA als Promotor für Klima und Ressourcengerechtigkeit zur Rohstoffwende in Berlin.

Der Weg Berlins zur Rohstoffwende, Kreislaufwirtschaft und Zero Waste ist also noch weit. Die stadtpolitische Diskussion in dieser und anderen deutschen Städten darf nicht beim Müllproblem im öffentlichen Raum und damit an der Oberfläche verharren. Lernen kann Berlin dabei auch von Beispielen aus dem globalen Süden. Die philippinische Stadt San Fernando verbot Plastiktüten komplett, in Indien gibt es seit Jahrzehnten den Essenslieferdienst Dabbawala, der ohne Wegwerfverpackungen auskommt und in Ghana ist wie in vielen anderen Ländern des globalen Südens eine Kultur des Reparierens völlig alltäglich.

 

Julius Neu arbeitet bei INKOTA als Promotor für Klima und Ressourcengerechtigkeit zur Rohstoffwende in Berlin.

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