Seit vier Jahren besteht das Bündnis für nachhaltige Textilien, auch als Textilbündnis bekannt. Gegründet wurde es als Reaktion auf die Katastrophen von Rana Plaza, Ali Enterprises und Tazreen, bei denen tausende Textilarbeiter*innen in Bangladesch und Pakistan verletzt wurden oder ums Leben kamen. Das Textilbündnis gilt als Vorzeigeinitiative der Bundesregierung und wird gelegentlich als „Blaupause“ für den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte bezeichnet. Um strukturelle Verbesserungen durchzusetzen, bedarf es dennoch gesetzlicher Regelungen.

Nach den verheerenden Katastrophen in Pakistan und Bangladesch in den Jahren 2012 und 2013 berichteten die Medien monatelang über den Fabrikbrand, den Gebäudeeinsturz und die Missstände in der Textilindustrie. Es war offensichtlicher denn je, dass strukturelle Veränderungen in der weltweiten Textilbranche notwendig sind. Der Kampagne für Saubere Kleidung gelang es, den öffentlichen Druck aufrechtzuerhalten, sodass die Politik die Probleme nicht mehr ignorieren konnte. Zunächst schlug Entwicklungsminister Gerd Müller vor, ein Textilsiegel zu schaffen. Ein „Alibi-Produktsiegel“ fand in der Zivilgesellschaft jedoch keinen Zuspruch. Im Oktober 2014 etablierte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nach kontroverser Konsultation die Brancheninitiative Bündnis für nachhaltige Textilien (kurz Textilbündnis). Nach anfänglicher Ablehnung der Wirtschaft gehören dem Textilbündnis derzeit 130 Mitglieder aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Gewerkschaften an. Auch Standardorganisationen, die Sozial- oder Umweltstandards definieren, beteiligen sich.

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Südlink 187 - Zentralamerika in Bewegung
März 2019
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Südlink 187 - Zentralamerika in Bewegung
März 2019
Zentralamerika, eine Region im Bann der Gewalt? Ja, aber nicht nur. Beeindruckend ist auch die Mobilisierung der Menschen, die sich gegen Unrecht und Unterdrückung auflehnen. Guatemala, Honduras und El Salvador gehören zu den gewalttätigsten Ländern Lateinamerikas. Und nach dem Beginn…

Wenngleich, kritisch betrachtet, die komplexen Probleme in der Lieferkette nicht gelöst wurden, hat das Textilbündnis als Multi-Stakeholder-Initiative Fakten geschaffen: Erstmals gibt es konkrete Anforderungen für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht der Unternehmen, die auf den Leitlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte beruhen. Im Jahr 2018 mussten zum ersten Mal alle Mitglieder – darunter 81 Unternehmen der Textil- und Modebranche – in individuellen Maßnahmenplänen ihre konkreten Ziele für die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards in ihren Lieferketten offenlegen. Eine externe Prüforganisation hatte zuvor die Plausibilität und die Übereinstimmung mit den Zielen und Anforderungen des Bündnisses bewertet. Aber hat sich dadurch für die Arbeiter*innen in den Textilfabriken maßgeblich etwas geändert? Bekommen Beschäftigte in der Lieferkette der Mitgliedsunternehmen einen existenzsichernden Lohn oder können Gewerkschaften besser die Interessen der Arbeiter*innen vertreten? Die Antwort lautet: Nein!

Weichenstellungen für existenzsichernde Löhne
Daher ist es richtig, dass der Steuerungskreis, das gewählte und paritätisch besetzte Multi-Stakeholder-Gremium, den Schwerpunkt für 2018 und 2019 neben den Kernthemen Einkaufspraktiken, Lieferkettentransparenz sowie Wirkungsmessung auf existenzsichernde Löhne gelegt hat. Dies geschah auf Drängen der Zivilgesellschaft.

Im Herbst 2018 wurde eine Bündnisinitiative mit dem Fokus existenzsichernde Löhne verabschiedet. Ein Länderschwerpunkt ist Kambodscha. Ein Land, das im Hinblick auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit problematisch ist. Im Jahr 2014 sorgte das brutale Vorgehen der Regierung gegenüber Gewerkschaften bei Protesten für bessere Löhne weltweit für negative Schlagzeilen. Die Bündnisinitiative will gemeinsam mit der Initiative Action, Collaboration and Transformation (ACT), einem strategischen Partner zu dem die internationale Gewerkschaft IndustrieAll zählt, die Rahmenbedingungen in Kambodscha für Tarifabschlüsse und bessere Löhne verbessern. Ziel ist, dass die Unternehmen des Textilbündnisses bei Ihren Lieferanten in Kambodscha die Umsetzung eines Rahmentarifvertrags einfordern und sich gleichzeitig zur langfristigen Platzierung von Aufträgen verpflichten, auch wenn die Löhne steigen. Außerdem müssen die eigenen Einkaufspraktiken und deren Auswirkungen auf die Löhne analysiert und in Folge verändert werden.

Bisher ist ACT ein Konzept, das politische Unterstützung sucht und praktische Erfolge noch vorweisen muss. Um eine kritische Masse innerhalb der Lieferkette zu bilden, müssen sich daher deutlich mehr Unternehmen an der Bündnisinitiative beteiligen. Die Modebranche wollte dazu beitragen, dass das Bündnis 75 Prozent des Marktanteils in Deutschland abdeckt. Verbesserungen im Bereich der Löhne sind ein wichtiger Punkt, denn damit hängen weitere Probleme in der globalen Lieferkette wie Gewerkschaftsfreiheit oder Einkaufspraktiken zusammen. Das Textilbündnis ist angetreten, um in diesen Problemfeldern Verbesserungen zu erreichen. Gegenüber der Öffentlichkeit muss es deshalb belegbare Fortschritte vorweisen.

Aus der Arbeit in der Kampagne für Saubere Kleidung – Clean Clothes Campaign wissen wir, dass komplexe Herausforderungen eine gewisse Zeit benötigen. Doch ein unabdingbarer Schritt für Veränderungen in der globalen Lieferkette und zur Einhaltung der Menschenrechte bei der Arbeit ist es, dass Arbeiter*innen und Gewerkschaften die konkrete Möglichkeit haben, Beschwerden über Missstände zu führen und ihre Rechte einzufordern. Zudem muss es Mechanismen geben, wie die vorgebrachten Missstände wie beispielsweise zu niedrige oder nicht gezahlte Löhne sowie Repression gegen Gewerkschaften beendet werden.

Ein erster Schritt ist, dass jedes Unternehmen sich für 2019 ein verpflichtendes Ziel setzen muss, wie es Beschwerden in der eigenen Lieferkette aufgreift und Abhilfe sowie Wiedergutmachung leistet. Auch im Kontext des Ende 2016 von der Bundesregierung verabschiedeten Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte und der OECD ist das Thema Beschwerdemechanismen sehr relevant geworden. Die Fälle Rana Plaza und Ali Enterprises haben dazu geführt, dass nicht mehr nur die Zivilgesellschaft und die Gewerkschaften Handlungsbedarf sehen. Durch öffentliche Proteste und über das Bündnis war es gelungen, dass die Opfer umfassendere Entschädigungen erhalten haben. Doch allein das langwierige Entschädigungsverfahren, bis die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) den Prozess begleitete und ein Berechnungsmodell für die Entschädigungssumme existierte und dann tatsächlich die Auszahlung an die Betroffenen erfolgte, zeigt, dass die bisher nicht vorhandenen juristischen Regelungen bezüglich Haftung von Unternehmen sowie Abhilfe und Entschädigung dringend ausgestaltet werden müssen. Dies könnte beispielsweise im Rahmen des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) der Bundesregierung geschehen.

Dieses Jahr müssen alle Mitglieder des Textilbündnisses zu Zielen der verpflichtenden Kernbereiche gegenüber der Öffentlichkeit berichten, also darüber, was sich beispielsweise im Bereich der Löhne oder Diskriminierung verbessert hat. Die derzeitigen Anforderungen sind noch so ausgestaltet, dass nicht richtig bewertet werden kann, ob ein Unternehmen „gute“, substanzielle Prozesse für seine menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette umsetzt. Doch darum geht es der Öffentlichkeit, zu wissen, ob die Menschenrechte bei der Arbeit in globalen Lieferketten eingehalten werden und bestehende Risiken behoben oder zumindest eingedämmt sind. Das Textilbündnis braucht deshalb eine auf die Wirkung vor Ort bezogene Berichtspflicht und eine gute Nachweisführung. Gerade hinsichtlich der politischen Glaubwürdigkeit und Transparenz muss das Bündnis weiterentwickelt werden.

Menschenrechte müssen einklagbar werden
Vier Jahre nach Start des Textilbündnisses ist eine juristische Ausgestaltung der Offenlegungs- und Berichtspflichten für Unternehmen sowie der Haftung dringend geboten. Laut Minister Müller gibt die Bundesregierung den Unternehmen 2019 noch eine Chance, konkrete Verbesserungen zu erzielen, bevor ein Gesetz kommt. Ein erster Entwurf kursiert bereits. Ein klarer Vorstoß in Richtung gesetzlicher Regulierung würde den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, dessen Monitoring gerade läuft, ambitionierter gestalten. Mit diesem Plan will die Bundesregierung unter anderem den Menschenrechtsschutz in globalen Lieferketten sicherstellen.

Der in Großbritannien verabschiedete Anti-Slavery-Act ist beispielsweise für Unternehmen trotz Brexit sehr relevant. Mit dem Gesetz traten Ende Oktober 2015 neue Berichtspflichten in Kraft, nach denen Unternehmen offenlegen müssen, wie sie gegen Menschenhandel und Zwangsarbeit in ihrer Lieferkette vorgehen. Alle Firmen mit einem jährlichen Umsatz von mehr als 36 Millionen Pfund, die mindestens Teile ihres Geschäfts in Großbritannien ausüben, müssen entsprechend berichten – unabhängig davon, wo sich der Hauptsitz befindet. Damit fällt auch eine große Zahl deutscher Unternehmen und Mutterkonzerne potenziell in den Geltungsbereich des Gesetzes. Auch die Mode-Industrie klagt darüber, sich damit beschäftigen zu müssen.

Der Anti-Slavery-Act macht deutlich: Wo eine gesetzliche Anforderung besteht, gibt es eine Pflicht zur Folgeleistung und erfolgt Risikoabschätzung. Übertragen auf das Textilbündnis und Deutschland hieße dies: Durch eine gesetzliche Regelung zu Offenlegungs- und Berichtspflichten für Unternehmen würde das Bündnis umgehend schlagkräftiger werden.

Die Zivilgesellschaft ist sich einig, dass Menschenrechte nicht allein dem Aushandlungsprozess gesellschaftlicher Anspruchsgruppen überlassen bleiben dürfen. Noch immer sind die Rechte des Unternehmens, das eine Barbie-Puppe produzieren lässt und davon profitiert, juristisch genauer geregelt als die Rechte der Menschen, die diese Puppe oder deren Kleider herstellen. Angesichts der strukturellen Probleme muss es zu einem Paradigmenwechsel kommen. Durch eine gesetzliche Festschreibung würden alle Unternehmen den gleichen Regeln folgen müssen und nicht nur die 50 Prozent der deutschen Textilwirtschaft, die derzeit Mitglied im Textilbündnis sind.

Die Erfahrungen der letzten Jahre – auch außerhalb des Textilbündnisses – zeigen, dass juristische Regelungen den Handlungsdruck zur Erreichung substanzieller Verbesserungen erhöhen würden. Die Sorgfaltspflicht bliebe somit nicht nur ein beliebiges politisches Konzept. Und dennoch wäre es notwendig, dass es starke und ambitionierte Multi-Stakeholder-Initiativen gibt, die auf umfassende und wirkungsvolle Umsetzung drängen und transparent sowie glaubwürdig gegenüber der Öffentlichkeit berichten. Denn alsbald wird es wohl kein Gesetz zur Zahlung eines existenzsichernden Lohns geben, das international in Kraft tritt und das erfolgreich eingeklagt werden kann. Die Umkehrung des bisherigen Status Quo ist notwendig: Denn während Unternehmen sogar Staaten verklagen können, wenn sie ihre Gewinne in Gefahr sehen, können Menschen, wenn sie zu Schaden kommen, ihre Rechte nicht einklagen.

Zum Autor

Berndt Hinzmann arbeitet beim INKOTA-netzwerk in der Kampagne für Saubere Kleidung und ist Mitglied im Steuerungskreis des Bündnisses für nachhaltige Textilien.

Berndt Hinzmann arbeitet beim INKOTA-netzwerk in der Kampagne für Saubere Kleidung und ist Mitglied im Steuerungskreis des Bündnisses für nachhaltige Textilien.

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