Die Prognosen für den wachsenden Rohstoffverbrauch durch Zukunftstechnologien haben bereits jetzt konkrete Auswirkungen: Mit den steigenden Preisen werden immer mehr Lizenzen zur Erkundung und zum Abbau vergeben. Und die Industrie hat einen neuen Grund, Druck auf die Politik auszuüben, um die „Versorgungssicherheit“ mit Rohstoffen zu gewährleisten.

„Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt vor Rohstoff-Engpässen durch Trend zur Elektromobilität“ – diese Meldung schaffte es im November 2017 in die 20-Uhr-Nachrichten. Sie reiht sich ein in eine Vielzahl von Berichten und Studien, deren Gegenstand der Rohstoffverbrauch von Elektroautos ist. Die hohen Prognosen sind für viele Akteure Anlass zur Sorge – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Während die einen befürchten, nicht an genügend Rohstoffe für ihre Produkte zu kommen, warnen andere vor den ökologischen und sozialen Auswirkungen des Bergbau-Booms.

Elektroautos werden mit Lithium-Ionen-Akkus betrieben. In den Akkus, denen das weiße Metall seinen Namen verleiht, werden neben Lithium zahlreiche weitere Rohstoffe verarbeitet.1 Der exakte Rohstoffverbrauch variiert je nach Hersteller und Batterieart, zumal weiterhin viel geforscht und entwickelt wird. Mengenmäßig am bedeutendsten sind aber in jedem Fall Lithium, Graphit, Kobalt und Nickel. Zahlreiche Studien gehen davon aus, dass der Verbrauch dieser Rohstoffe deutlich ansteigen wird – vorausgesetzt, der Besitz eines Privat-Pkws stellt weiterhin die Norm dar.

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Klimawandel, Dieselskandal und Automanager im Gefängnis: Das Auto, einst das Statussymbol der Deutschen schlechthin, ist in der Krise. Und das ist gut so. Denn dies erleichtert die dringend nötige Abkehr vom motorisierten Individualverkehr, ohne die eine nachhaltige Verkehrswende nicht…

Wäre dies der Fall, würden laut einer Berechnung des Freiburger Öko-Instituts im Jahr 2030 1,4 Millionen Tonnen Graphit und 830.000 Tonnen Nickel für elektrisch betriebene Fahrzeuge verbraucht werden. Die Prognosen für Lithium und Kobalt scheinen auf den ersten Blick weniger dramatisch, haben jedoch ebenfalls drastische Konsequenzen: 160.000 Tonnen Lithium könnten 2030 in elektrischen Fahrzeugen verbaut werden. Das entspricht fast dem Vierfachen der Menge, die 2017 weltweit überhaupt abgebaut wurde. Für Kobalt sieht es ähnlich aus: Letztes Jahr wurden weltweit insgesamt 110.000 Tonnen abgebaut. Demgegenüber steht ein prognostizierter Verbrauch von 260.000 Tonnen im Jahr 2030 allein durch Elektromobilität. Um diesen Bedarf zu decken, müssten für Kobalt und Lithium zahlreiche weitere Abbaustätten erschlossen werden.

Ob sich die hohen Prognosen bewahrheiten, ist ungewiss. Vielleicht werden andere Antriebstechnologien entwickelt, vielleicht ändert sich der Rohstoffverbrauch der Akkus deutlich, vielleicht gelingt eine wahrhafte Verkehrswende, die nicht mehr auf dem Besitz eines privaten Autos basiert. Doch unabhängig davon, ob sich die Prognosen erfüllen, haben sie bereits jetzt Auswirkungen.

Die Rohstoffpreise schnellen in die Höhe
Der Preis für Lithium hat sich allein im Zeitraum von November 2016 bis August 2017 fast verdoppelt. 2004 kostete eine Tonne Lithium 2.000 US-Dollar, 2017 waren es mehr als 13.000 US-Dollar. Ähnliches lässt sich für Kobalt vermelden: Während eine Tonne Kobalt vor drei Jahren noch rund 30.000 US-Dollar kostete, lag der Preis Mitte März 2018 bereits bei fast 95.000 US-Dollar.

Mit dem Anstieg der Preise und den Prognosen eines wachsenden Verbrauchs geht eine Zunahme der bergbaulichen Erkundungs- und Abbauaktivitäten einher. 70 Prozent der weltweiten Lithiumvorkommen liegen in den Salzseen des sogenannten Lithiumdreiecks Argentinien, Bolivien und Chile. Dort wurden die Fördermengen aufgrund der hohen Nachfrage teilweise verdreifacht; laufend werden neue Abbaulizenzen vergeben.

In Argentinien wurden inzwischen fast alle Salzseen konzessioniert. Nach Probebohrungen um den Salar de las Salinas Grandes wurden die Löcher teilweise nicht richtig verschlossen, sodass an einigen Stellen Grundwasser austrat. Es überschwemmte die Salzkruste, die in der Nähe lebende indigenen Gemeinschaften für die traditionelle Salzgewinnung nutzen.

Auch in der Demokratischen Republik Kongo, dem weltweit wichtigsten Kobaltproduzenten, werden die Konzessionsgebiete für Bergbau beständig ausgeweitet. Immer wieder kommt es zu Landnutzungskonflikten zwischen den Bergbauunternehmen und anderen Nutzer*innen und Bewohner*innen des Landes, die bei der Konzessionsvergabe häufig nicht angehört werden. Statt eigene Gebiete zugewiesen zu bekommen, werden Kleinschürfer*innen vertrieben oder schürfen illegalisiert auf den stetig größer werdenden Gebieten der Konzerne.

Der passende Slogan für die steigenden Preise und Zunahme der bergbaulichen Aktivitäten lautet: „eMobility will drive demand“. So verkündete es Matthias Wachter,  Abteilungsleiter für Sicherheit und Rohstoffe beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) kürzlich in Bezug auf Lithium. Seine Ausführungen illustrierte er mit konkreten Mengenangaben: Allein für ein Elektroauto würden 51 Kilogramm Lithium benötigt, 0,8 bis 2 Kilogramm für Hybrid-Autos, 30 bis 40 Gramm in Laptops, 20 bis 30 Gramm für ein Tablet und noch 2 bis 3 Gramm für ein Smartphone.

Der BDI macht mit diesen Zahlen Politik. Der Industrieverband treibt die Diskussion um Rohstoffe für Zukunftstechnologien aktiv voran, um damit einige seiner politischen Forderungen, die er schon seit Jahren vertritt, neu zu begründen. So veröffentlichte der BDI im Herbst 2017 das Positionspapier „Rohstoffversorgung 4.0“, in dem Elektromobilität eine prominente Rolle spielt. Aus Sicht des BDI ermöglicht Elektromobilität neue Geschäftsmodelle, fördert technologische Innovation und schont Klima und Umwelt. Der Industrieverband macht jedoch auch klar: „Der Erfolg von Elektromobilität ‚Made in Germany‘ hängt unmittelbar mit dem sicheren, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Bezug dieser Rohstoffe zusammen.“

Für die Industrie geht es um „Versorgungssicherheit“: Die Politik soll gewährleisten, dass die Unternehmen an genügend Rohstoffe zu günstigen Preisen kommt. Die deutsche Industrie ist der weltweit fünftgrößte Rohstoffimporteur. Für die Fertigung ihrer Produkte ist sie vollkommen abhängig vom Import von Metallerzen und -konzentraten. Deshalb soll der möglichst günstige Zugang unter anderem durch handelspolitische Maßnahmen gesichert werden.

So zielt die Handelspolitik der EU darauf ab, dass Staaten des globalen Südens keine Exportzölle auf ihre Rohstoffe mehr erheben. Außerdem könnten mithilfe von Entwicklungspolitik „wichtige Rahmenbedingungen für ein investitionsfreundliches Klima geschaffen werden, von dem auch die deutsche Wirtschaft profitieren kann.“ So steht es in der Deutschen Rohstoffstrategie aus dem Jahr 2010.

Der deutsche Ressourcenverbrauch ist viel zu hoch
Die sozialen und ökologischen Auswirkungen des Rohstoffabbaus werden in dieser Strategie der Bundesregierung und in den Positionspapieren des BDI nur am Rande thematisiert. Der Abbau von Rohstoffen steht sinnbildlich für die imperiale Lebensweise, die tief in den Produktions-, Verteilungs- und Konsummustern im globalen Norden verankert ist. Erst der nahezu unbegrenzte Zugriff auf die Arbeitskräfte und natürlichen Ressourcen anderer ermöglicht das deutsche Wirtschaftsmodell. Doch die Verantwortung für faire Arbeitsbedingungen, Umweltschutz und die Achtung der Menschenrechte wird den rohstoffreichen Staaten sowie den Bergbauunternehmen selbst zugeschrieben.

Der Ressourcenverbrauch Deutschlands liegt weit über einem global gerechten Niveau – und muss dringend gesenkt werden. Stattdessen wird diskutiert, ob es „genügend“ Rohstoffe für Zukunftstechnologien gibt, und zu welchem Preis. Der BDI spricht in seinem jüngsten Positionspapier über Elektromobilität und die Energiewende, über Industrie 4.0 und Digitalisierung – und gibt sich damit einen grünen, fortschrittlichen Anstrich.

Wie perfide es ist, den Abbau von Rohstoffen mit „grünen Technologien“ zu begründen, zeigt sich an den Diskussionen um Tiefseebergbau. So schreibt der BDI, dass „Tiefseerohstoffe […] einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Versorgungssicherheit mit strategischen Rohstoffen leisten“ können. 120 Millionen Tonnen Kobalt sollen auf dem Boden der Tiefsee lagern. Auch der britische Guardian titelte 2017: „Ist Tiefseebergbau notwendig für eine grünere Zukunft – auch wenn er Ökosysteme zerstört?“ und zitiert in dem Artikel Mike Johnston, Chef von Nautilus Minerals – ein Unternehmen, das bald in der Nähe von Papua Neu-Guinea Rohstoffe in der Tiefsee abbauen will: „Der Meeresboden enthält einige der größten bekannten Anreicherungen von Metallen, die essenziell für die grüne Ökonomie sind.“ Es sei unvermeidlich, dass bald mit dem Abbau begonnen wird.

In dieser Aussage spiegelt sich der Widerspruch der vermeintlich grünen Ökonomie wider: Sie setzt auf ein Weiter-So. Alle können weiter ein Auto besitzen, vorausgesetzt, wir nehmen die großflächige Zerstörung des Meeresbodens in Kauf; mit irreparablen Schäden an einzigartigen Habitaten und Ökosystemen.

Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen ist ein „Weiter so“ nicht möglich. Statt sich des Feigenblatts der Nachhaltigkeit zu bedienen, um alte rohstoffpolitische Forderungen neu aufzusetzen, sollte die Industrie endlich Verantwortung für ihren hohen Rohstoffverbrauch und dessen desaströsen Folgen übernehmen. Wir brauchen vor allem eins: Weniger!

1 Dazu zählen unter anderem Kobalt, Graphit, Nickel, Mangan, Aluminium, Kupfer, Zinn, Silikon, Magnesium, Germanium, Indium, Antimonium und Seltene Erden.

Zur Autorin

Merle Groneweg arbeitet bei PowerShift zu Rohstoffpolitik. Derzeit befasst sie sich vor allem mit dem Rohstoffverbrauch von Autos.

Merle Groneweg arbeitet bei PowerShift zu Rohstoffpolitik. Derzeit befasst sie sich vor allem mit dem Rohstoffverbrauch von Autos.

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