Über drei Monate lang prägten Barrikaden das Bild vieler Straßen und Städte. Foto: VOA. Public Domain

Trotz hoher Geburtenrate sinkt die Einwohner*innenzahl Nicaraguas derzeit. Fast fünf Prozent der Bevölkerung verließen das Land allein im Jahr 2022. Aus wirtschaftlicher Not oder weil sie aus politischen Gründen fliehen mussten. Im Februar 2023 kam eine neue Variante hinzu, die Einwohner*innenzahl sank um weitere 316 Personen. Zuerst ließ das Regime von Präsident Daniel Ortega und seiner Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo 222 politische Gefangene unter der Bedingung frei, direkt in ein Flugzeug nach Washington zu steigen – und entzog ihnen, als sich das Flugzeug noch in der Luft befand, die Staatsbürgerschaft. Hauptvorwurf: Vaterlandsverrat. Nur sechs Tage später bürgerte es weitere 94 Oppositionelle aus, die sich bereits im Ausland in Sicherheit gebracht hatten, und entzog ihnen die Rentenansprüche.

Dies widerspricht zwar der Verfassung, diese aber hat in dem mittelamerikanischen Land ohnehin keine besondere Bedeutung mehr: Das Diktatorenehepaar interpretiert und ändert diese nach Gutdünken. So trug Ortega am 11. Februar dem Parlamentspräsidenten auf, die Verfassung zu ändern, da seine Frau nicht mehr nur Vizepräsidentin, sondern „Ko-Präsidentin“ sein solle.

Auf den Listen der 222 und der 94 stehen fast die gesamte Spitze der politischen Opposition, zahlreiche Intellektuelle, Journalist*innen, wichtige Vertreter*innen der Zivilgesellschaft wie die Präsidentin der Menschenrechtsorganisation CENIDH und langjährige INKOTA-Partnerin Vilma Nuñez und die beiden weltbekannten Schriftsteller*innen Gioconda Belli und Sergio Ramírez. In Nicaragua selbst befindet sich nun kaum noch jemand, der/die die Stimme gegen das Regime erheben könnte. Eine parteipolitische Opposition gibt es ohnehin nicht mehr, seit das Regime zu den Präsidentschaftswahlen im November 2021 gleich sieben Kandidat*innen unter Hausarrest stellte oder verhaften ließ. Besonders vehement geht Ortega gegen einstige Weggefährt*innen und Unterstützer*innen der sandinistischen Revolution vor, die sich von ihm lossagten. So war die einstige Revolutionskommandantin Dora María Tellez seit Juni 2021 im Gefängnis, zumeist in Einzelhaft, bis sie nun ins Zwangsexil geschickt wurde.

Langfristig wird das Kalkül von Ortega-Murillo wahrscheinlich nicht aufgehen. Noch aber haben die beiden den Staats- und Repressionsapparat fest im Griff. Doch während der 77-jährige Daniel Ortega bei der – wenn auch inzwischen deutlich geschrumpften – sandinistischen Basis noch immer populär ist, verfügt Rosario Murillo über deutlich weniger Rückhalt. Auch international wird es einsam um das Regime. Zahlreiche Präsidenten Lateinamerikas haben die Ausbürgerung verurteilt und den Verbannten die Staatsbürgerschaft angeboten. Gioconda Belli wird nun Chilenin und Sergio Ramírez Ecuadorianer. Alle werden jedenfalls ihre Stimme auch weiterhin erheben und sich für Demokratie und Menschenrechte in Nicaragua einsetzen.

Michael Krämer ist Redakteur des Südlink und war 1986 zum ersten Mal in Nicaragua.

Michael Krämer ist Redakteur des Südlink und war 1986 zum ersten Mal in Nicaragua.

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