Globaler Fluch oder Ressourcensegen?
Um das weltweite Müllproblem zu lösen, brauchen wir eine global gerechte Kreislaufwirtschaft
Neben der Klimakrise und dem Artensterben leidet der Planet zunehmend an einem Müllproblem. Dieses bringt nicht nur Umweltverschmutzung mit sich, sondern hat auch für Mensch und Tier gleichermaßen negative Folgen für die Gesundheit. Zudem ist der Globale Süden viel stärker vom wachsenden Müllproblem betroffen als der Norden. Doch wie lässt sich die Menge an Müll weltweit verringern und gar vermeiden? Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft könnte Abhilfe schaffen.
Wir alle haben mit Müll zu tun und produzieren selbst eine große Menge davon. Ob aber etwas zu Abfall erklärt wird, hängt davon ab, dass die Besitzer*innen sich des Gegenstands oder Stoffs entledigen und dies eine spezielle Behandlung nötig macht. Die Beispiele, die uns im ersten Moment einfallen – egal ob sie in einer Mülltonne liegen oder am Straßenrand –, sind häufig sogenannte Siedlungsabfälle.
Jedes Jahr werden laut Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) mehr als zwei Milliarden Tonnen dieser Siedlungsabfälle erzeugt. In Standard-Schiffscontainern (40 Fuß) aneinandergereiht würde die Schlange 25 Mal um den Äquator reichen – deutlich weiter als bis zum Mond und zurück. In diesen Containern steckten jede Menge Lebensmittelabfälle, Verpackungen, Möbel, Haushaltselektrogeräte, Kleidung und Schuhe oder auch Hygieneprodukte. In der aktuellen Diskussion kommen manche Gegenstände und Stoffe häufiger vor als andere, entweder weil ihre Menge rasant ansteigt, sie besondere Schwierigkeiten in der Sammlung und Behandlung verursachen oder sie große Umwelt- und Gesundheitsrisiken bergen. Dazu gehören unter anderem gefährliche Chemikalien und Schwermetalle (zum Beispiel in Batterien), Elektroschrott, Textilien, Plastik und Lebensmittelabfälle.
Die USA und China produzieren mit Abstand am meisten Müll. Allerdings ist der Anteil von Lebensmittel- und Gartenabfällen an der Gesamtsiedlungsabfallmenge in der Region Ost- und-Südostasien (mit China) noch wesentlich höher als in der Region Nordamerika (mit den USA). Innerhalb der OECD-Staaten liegt Deutschland bei der Müllmenge nach den USA auf Platz 2.
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Ich bin dabei!Die entwicklungspolitische Dimension von Müll
Wird Müll nicht angemessen entsorgt, kann er innerhalb einer Gemeinde zum Problem werden – oder aber in weit entfernten Regionen, wohin beträchtliche Teile des Mülls aus den Ländern des Globalen Nordens exportiert werden. So birgt Müll zahlreiche Dimensionen globaler (Un-)Gerechtigkeit und ist entwicklungspolitisch höchst relevant.
Vier Fakten zeigen die globale und entwicklungspolitische Dimension besonders eindrucksvoll.
- Wer verursacht wie viele Siedlungsabfälle durchschnittlich pro Kopf und Tag weltweit? In Westeuropa sind es über 1,5 Kilogramm pro Person und Tag – fast doppelt so viel wie in Subsahara-Afrika mit circa 0,8 kg pro Person und Tag (vgl. Abbildung auf der nächsten Seite).
- Die planetare Dreifachkrise – Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Umweltverschmutzung – wird durch unsere Müllproduktion stark befeuert und trifft Menschen im Globalen Süden wesentlich stärker als im Globalen Norden. So verursachen der Transport und die Behandlung von Abfällen einen enormen Ausstoß von Treibhausgasen. Aber auch Partikel, die bei der Müllverbrennung entstehen, wie etwa Schwarzer Kohlenstoff, können den Klimawandel beschleunigen. Die Langzeitverschmutzung von Land- und Wasserökosystemen durch Müll zum Beispiel in illegalen Deponien ist eine der Hauptursachen für den weltweiten Biodiversitätsverlust. Es wird geschätzt, dass jährlich zwischen 400.000 und 1 Millionen Menschen an Krankheiten sterben, die durch unsachgemäße Müllbehandlung entstehen. Darunter Durchfall, Malaria, Herzerkrankungen und Krebs.
- Die Müllbehandlung und -entsorgung findet häufig unter höchst prekären Bedingungen im Globalen Süden statt und hält dort Menschen in Armut (vgl. den Artikel über die Elektroschrottexporte nach Ghana auf den Seiten 12 bis 13), statt ihnen ein auskömmliches Einkommen zu ermöglichen.
- Der globale legale und illegale Handel mit Müll ist nach wie vor neokolonial organisiert. Bereits 1988 prangerte der kenianische Präsident Daniel arap Moi an: „Afrika hat allen Formen der Fremdherrschaft eine Absage erteilt. Wir wollen nicht, dass diese Fremdherrschaft nun durch die Hintertür in Form eines ‚Müllimperialismus‘ zurückkehrt.“ Auch sonst ist Müll ein entwicklungspolitisch höchst relevantes Thema. Zu jedem Ziel der Agenda 2030 finden sich zahlreiche Zusammenhänge mit der Entstehung von Müll und seiner Behandlung.
All diese Ungerechtigkeiten drohen sich in Zukunft alarmierend zu verschärfen. Projektionen gehen davon aus, dass die globale Müllmenge pro Jahr sich bis zum Jahr 2050 fast verdoppeln wird (3,8 Mrd. Tonnen), wenn wir als Weltgesellschaft nicht radikal umsteuern und Wohlstand von Müllproduktion entkoppeln. Weltweit wurden im Jahr 2020 rund 38 Prozent der globalen Siedlungsabfallmenge nicht kontrolliert behandelt. Das heißt, dieser Müll wurde entweder nicht systematisch eingesammelt und unsachgemäß gelagert oder verbrannt. Oder er wurde eingesammelt, aber danach unsachgemäß gelagert oder verbrannt. Es ist offensichtlich, dass die bestehenden Systeme mit den riesigen Müllmengen überfordert sind.
Laut einer Studie von Chatham House könnten über die Hälfte der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), die bis 2030 umgesetzt sein sollten, selbst bis 2060 unerreichbar bleiben, wenn nicht weltweit koordinierte Kreislaufwirtschaftsstrategien umgesetzt werden. Besonders sichtbar wird dies im Unterziel 12.5 der SDGs, bis 2030 das Abfallaufkommen durch Vermeidung, Verminderung, Wiederverwertung und Wiederverwendung deutlich zu verringern.
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Müllvermeidung durch global gerechte Kreislaufwirtschaft
Für die Menschheit ist es überlebenswichtig, dass künftig global möglichst wenig Müll produziert wird. Der zentrale Ansatz, um Abfall zu vermeiden und kontrolliert zu behandeln, ist die Kreislaufwirtschaft. Das Konzept meint allerdings etwas ganz anderes, als Unternehmen und Politik häufig behaupten und Verbraucher*innen glauben.
Worum geht es? In einer ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft werden möglichst wenige Ressourcen beansprucht und möglichst lange genutzt. Produkte werden möglichst erst gar nicht hergestellt. Wenn sie aber benötigt werden, werden sie so designt, dass sie langlebig und gut recycelbar sind. Sie werden repariert, wiederverwendet und wieder aufbereitet. Erst wenn all diese Hebel ausgeschöpft sind, werden möglichst viele der in Produkten enthaltenden Materialien zurückgewonnen (recycelt). Die Reststoffe, die dann noch übrig sind, werden so auf ein Minimum reduziert.
Niederländische Wissenschaftler*innen rund um José Potting haben Kreislaufwirtschaft 2017 anhand der sogenannten zirkulären Strategien verständlich gemacht. Da die Strategien auf Englisch alle mit „R“ beginnen, werden sie auch die 10-R-Strategien genannt. Sie bestehen aus insgesamt 3 Strategiegruppen:
- Intelligentere Produktnutzung und -herstellung,
- Verlängerung der Lebensdauer des Produkts und seiner Teile,
- Sinnvolle Verwendung der Materialien.
Zur Gruppe 1 gehören die Strategien Refuse, Rethink, Reduce. Zur Gruppe 2 gehören die Strategien Re-Use, Repair, Refurbish, Remanufacture und Repurpose. Zur Gruppe 3 gehören die Strategien Recycle und Recover. Die Strategien haben dabei eine strikte Hierarchie: Je weiter oben sie in der Nummerierung stehen, desto größer ist ihr Beitrag zur Ressourcenschonung (zu den 10 R vgl. auch untenstehende Grafik). In einer global gerechten Kreislaufwirtschaft sollen entlang all dieser Prozesse die Menschenrechte eingehalten werden. Die Unternehmen, die Produkte entwickeln, sind entlang der vorgelagerten Wertschöpfungskette (also in der Produktion), aber auch in der nachgelagerten Wertschöpfungskette (also bei der Nutzung von Produkten und ihrer Entsorgung) dafür verantwortlich, für Umwelt und Menschen Sorgfalt walten zu lassen.
Die Verantwortung der Hersteller
Wer muss die weltweite Transformation der bisher bestehenden sogenannten „linearen Wirtschaft“ – gern auch als „Wegwerfwirtschaft“ bezeichnet – hin zu einer Kreislaufwirtschaft vorantreiben? Je nach R-Strategie sind das unterschiedliche Akteure. Regierungen haben die Verantwortung, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Unternehmen sich die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft zu eigen machen können und es den Menschen leichter fällt, sich im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu verhalten. Sie können in ihrem Verhalten die Umsetzung aller Strategien mit befördern und die entsprechenden Rahmenbedingungen von Regierungen und Unternehmen einfordern.
Die ersten drei R-Strategien (Refuse, Rethink, Reduce) zielen auf das Design und die Herstellung von Produkten. Hier sind also besonders die Hersteller und Händler von Waren gefragt: Es geht darum, dass bestimmte Waren, die verschiedene negative Eigenschaften haben, gar nicht erst produziert werden, oder das Unternehmensmodell jenseits der Produktion dieser Waren gedacht wird. Ein Beispiel hierfür wären Unternehmen, die sich entscheiden ein Leihsystem für wiederverwendbare Umzugskisten zu entwickeln statt Wegwerf-Umzugskartons zu produzieren.
Auch in der Verwendungsphase von Produkten mit den Strategien länger nutzen, reparieren, aufarbeiten, funktionierende Komponenten wiederverwenden und Produkte zu einem anderen Zweck zu verwenden (Re-Use, Repair, Refurbish, Remanufacture, Repurpose) spielen Hersteller und Händler noch eine große Rolle. Produkte müssen reparierbar gestaltet und die notwendigen Informationen, Werkzeuge und Ersatzteile zugänglich gemacht werden. Selbst für das Recycling und Verbrennen zur Energieerzeugung (Recover) von Produkten müssen die Hersteller von Anfang an mitdenken: Fasern aus einem Kleidungsstück können beispielsweise dann besonders gut Faser-zu-Faser-recycelt werden, wenn keine Mischfasern verwendet werden. Für das Recycling/Recover sind Abfallunternehmen mit verantwortlich.
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Die Verantwortung der Politik
Ein Beispiel für eine gesetzliche Rahmenbedingung, die Kreislaufwirtschaft begünstigt, ist die „Erweiterte Herstellerverantwortung“. In der Europäischen Union müssen Hersteller und Händler laut diesem Gesetz Verantwortung für die Abfallvermeidung und den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte übernehmen – etwa indem sie sich finanziell oder organisatorisch an der Sammlung und Wiederverwertung ihrer Produkte beteiligen. Dies soll Unternehmen einen Anreiz bieten, ihre Produkte möglichst ressourcenschonend herzustellen.
Da dieses Instrument bislang schwach ausgestaltet ist, entfaltet es sein volles Potenzial noch nicht. So sind in der EU laut dieser Regulierung etwa die Hersteller von Plastikverpackungen mitverantwortlich für die Rücknahme, den Abtransport, die Sammlung, Sortierung und Entsorgung oder Wiederaufbereitung ihrer Verpackungen. Doch die Menge an Plastikverpackungsmüll steigt weiter massiv an. In Deutschland hat sich deren Menge zwischen 1995 und 2023 auf drei Millionen Tonnen im Jahr verdoppelt. Etwa zehn Prozent davon werden exportiert – überwiegend nach Malaysia und in die Türkei.
Ein weiteres Problem ist die wachsende Menge an Elektroschrott in den Siedlungsabfällen – und dessen verheerender Umwelt- und Menschenrechtsbilanz, wenn dieser aus Gründen der Wiederverwertung exportiert wird. Was wir benötigen, ist stattdessen eine globale Kreislaufwirtschaft, die auf Müllvermeidung durch die Einbeziehung von Kreislaufwirtschaftsüberlegungen schon im Produktdesign setzt, für Wertschöpfung und Armutsbekämpfung im Globalen Süden sorgt und kontrollierte Mülleinsammlung und -behandlung ernst nimmt.
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Kreislaufwirtschaft und deutsche Entwicklungszusammenarbeit
Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) hat Kreislaufwirtschaft 2020 als Aktionsfeld aufgenommen, und in der 2024 vom Bundesumweltministerium (BMUV) veröffentlichten Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie wurde verankert, dass Partnerländer im Globalen Süden angemessen unterstützt werden sollen, „um eine globale Kreislaufwirtschaft mitzugestalten und in diesem Rahmen deren eigene Volkswirtschaften im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation zu entwickeln, um zukunftsfähige Arbeitsplätze und wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen“.
Wird die deutsche Entwicklungszusammenarbeit aber ihrer Aufgabe gerecht, eine global gerechte Kreislaufwirtschaft zu befördern? Kürzlich hat das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit genau diese Frage untersucht. Der Bericht kritisiert sehr große Lücken. Es fehle eine handlungsleitende Ausgestaltung des Konzepts, ebenso wie eine kohärente ressortübergreifende Zusammenarbeit mit dem BMUV. Außerdem seien aktuelle Maßnahmen verstärkt in Richtung Abfallwirtschaft orientiert, anstatt an den R-Strategien anzusetzen und einen systematischen sozialen Wandel voranzubringen. Auch fehle die Ausgestaltung einer kreislaufwirtschafts-spezifischen Berücksichtigung der sozialen Dimension der Transformation und der Rolle vulnerabler Gruppen. Unterlaufen werden diese Maßnahmen dann noch von einer Politik, die wieder stärker auf die Sicherung primärer Rohstoffe für die deutsche Wirtschaft ausgerichtet ist. Es gibt viel zu tun.