Müll als Kunst
Blickwechsel
Ob aus Plastikflaschen, alten Kabeln, kaputten Handys oder gebrauchten Haarverlängerungen – Künstler aus der Demokratischen Republik Kongo entwerfen aus alten, weggeworfenen Sachen Ganzkörperkostüme, um auf das gravierende Müllproblem in Kongos Hauptstadt Kinshasa aufmerksam zu machen.
Die Metropole am Kongo-Fluss mit mehr als 17 Millionen Einwohner*innen ist eine der am schnellsten wachsenden Megastädte des afrikanischen Kontinents. Doch schätzungsweise fast drei Viertel der Einwohner*innen leben in Armenvierteln ohne ausreichende Infrastruktur: ungeteerte Straßen, mangelnde Abwassersysteme, keine Müllentsorgung. Das Abfallproblem der Megametropole ist so gravierend, dass es tödliche Folgen hat: Stetig kommt es in der Regenzeit zu Überschwemmungen durch verstopfte Abwasserkanäle. Eine davon führte jüngst zu Cholera-Ausbrüchen mit mehr als 30.000 Infizierten, über 600 starben – vor allem Kinder.
Anlässlich des jährlich in Kinshasa stattfindenden Performancekunst-Festivals KIN-ACT wollten kongolesische Künstlerkollektive auf des Müllproblem in ihrem Land aufmerksam machen – vor allem vor dem Hintergrund, dass die meisten Rohstoffe, aus welchen diese Abfälle hergestellt werden, ursprünglich aus dem Kongo stammen: Coltan etwa, welches in Handys und Akkus verwertet ist; oder Kupfer, das in Kabeln und verschiedenen Elektrogeräten steckt. Denn Kinshasa ist nicht nur für den Kongo, sondern für den Welthandel ein riesiger Warenumschlagplatz: von Coltan über Gummi für Autoreifen oder Uran gibt es dort alles.
Die Künstler*innen haben die Kostüme aufwendig per Hand gefertigt und anlässlich des Festivals auf den Straßen – vor allem auch in den Slums – zur Schau getragen. Der seit Jahrzehnten im Kongo tätige belgische Fotograf Colin Delfosse hat daraus eine Bilder-Serie zusammengestellt: „Fulu Act“.
„Fulu“ bedeutet in der westkongolesischen Sprache Lingala „Müll“, erklärt der Fotograf, der in Brüssel lebt und seit 2006 regelmäßig in den Kongo reist. Er hat zwischen 2020 und 2023 mit dem Künstlerverband „Ndaku – La Vie Est Belle“ und dem Künstler-Kollektiv „Farata“ zusammengearbeitet. Insgesamt hat er 30 Künstler*innen dabei fotografiert, wie sie ihre Kostüme in den Straßen tragen. „Die Künstler waren wirklich enthusiastisch, als ich die Idee von der Portraitserie an sie herangetragen habe“, berichtet Delfosse. In Kinshasa gibt es aus Mangel an öffentlichen Kultureinrichtungen seit vielen Jahren Straßenkunstaktionen. „Die Performance mit den Kostümen sei dennoch für die Einwohner etwas Spektakuläres gewesen“, so Delfosse: „Als wir in den Straßen mit den Kostümen die Fotos gemacht haben, kamen so viele Menschen angelaufen. Das war zum Teil wirklich komisch, ihre Reaktionen zu sehen.“
Um die Aufmerksamkeit auch im Globalen Norden auf Afrikas Müllproblematik zu lenken, hat Delfosse die vergrößerten Bilder zunächst in Brüssel ausgestellt; und zwar mitten im Stadtzentrum in der Fußgängerzone als Freilichtausstellung – „ein Ort, der viel mit unserer Kolonialvergangenheit zu tun hat“, erklärt Delfosse: „Das war wirklich spannend, denn viele wussten im ersten Moment oft nicht, was genau sie da betrachten und starrten gebannt mit offenem Mund auf die Bilderserie.“
Alle Bilder: Colin Delfosse
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