Vom Müll überflutet
Mangelnde Abfallentsorgung führt in Uganda zu lebensgefährlichen Katastrophen und verseucht den Victoriasee
Erst bricht die Müllhalde der ugandischen Hauptstadt Kampala zusammen, dann ertrinken Menschen in den Fluten, weil die Abwasserkanäle zugemüllt sind. Das Beispiel Kampala zeigt, was passiert, wenn Entwicklungsländer im Globalen Süden ihr Müllproblem nicht dringend angehen. Denn mittlerweile verwandelt sich Afrikas größter See, der Victoriasee, in die größte Mülldeponie des Kontinents.
Ihre Lippen beben, als Shadia Nanyonjo auf den Berg voller Abfall blickt: „Hier habe ich mit meinen drei Kindern einmal gelebt“, sagt sie und kämpft mit den Tränen. Die 29-jährige Uganderin steht an der Flanke einer der Hügel von Ugandas Hauptstadt Kampala. Oberhalb erhebt sich die städtische Müllhalde: Ein gewaltiger Berg angehäuft aus Unrat – vom Elektrokabel über Autoreifen bis hin zu verrotteten Essensresten. Fliegen schwirren umher. Es stinkt fürchterlich.
Der Müll hat im August 2024 Nanyonjos Leben innerhalb von Minuten zunichtegemacht. Ein Teil der Halde war wie eine Lawine den Abhang hinunter gedonnert. Mehr als 70 Häuser wurden darunter begraben. 34 Tote wurden später geborgen, noch immer werden mehr als 20 Personen vermisst. Insgesamt wurden mehr als 220 Menschen wie Nanyonjo obdachlos.
Erst bricht die Müllhalde der ugandischen Hauptstadt Kampala zusammen, dann ertrinken Menschen in den Fluten, weil die Abwasserkanäle zugemüllt sind. Das Beispiel Kampala zeigt, was passiert, wenn Entwicklungsländer im Globalen Süden ihr Müllproblem nicht dringend angehen. Denn mittlerweile verwandelt sich Afrikas größter See, der Victoriasee, in die größte Mülldeponie des Kontinents.
Ihre Lippen beben, als Shadia Nanyonjo auf den Berg voller Abfall blickt: „Hier habe ich mit meinen drei Kindern einmal gelebt“, sagt sie und kämpft mit den Tränen. Die 29-jährige Uganderin steht an der Flanke einer der Hügel von Ugandas Hauptstadt Kampala. Oberhalb erhebt sich die städtische Müllhalde: Ein gewaltiger Berg angehäuft aus Unrat – vom Elektrokabel über Autoreifen bis hin zu verrotteten Essensresten. Fliegen schwirren umher. Es stinkt fürchterlich.
Der Müll hat im August 2024 Nanyonjos Leben innerhalb von Minuten zunichtegemacht. Ein Teil der Halde war wie eine Lawine den Abhang hinunter gedonnert. Mehr als 70 Häuser wurden darunter begraben. 34 Tote wurden später geborgen, noch immer werden mehr als 20 Personen vermisst. Insgesamt wurden mehr als 220 Menschen wie Nanyonjo obdachlos.
Die Mutter von drei Kindern hatte Glück: „Ich war früh aufgestanden, um den Haushalt zu machen, bevor ich meine Kinder zum Kindergarten bringen wollte“, berichtet sie und seufzt. Sich an jenen Morgen zurückzuerinnern, fällt ihr nicht leicht. Sie wirkt traumatisiert. „Zuerst hörte ich ein dumpfes Grollen, dann schrien meine Nachbarn“, erzählt sie. „Da habe ich meine Kinder geschnappt und wir sind davongerannt.“ Dort, wo einst ihr Haus stand, türmt sich heute der Unrat: „Am meisten weine ich um die Fotos meiner verstorbenen Mutter“, sagt sie leise. „Und um meine Nachbarn, die das Unglück nicht überlebt haben – wir waren eng befreundet.“
Ein illegaler Müllberg im Armenviertel
Die Müllhalde im Armenviertel Kiteezi macht der Stadtverwaltung schon seit Jahrzehnten Probleme. Als sie 1996 angelegt wurde, war sie quasi ein Loch zwischen drei Hügeln. Lastwagen konnten auf einen der Hügel hinauffahren und einfach alles abladen: Der unsortierte Müll rutschte den Hang hinab. Doch seit 2008 ist das Loch voll. Bereits damals erklärte die Stadtverwaltung, man müsse unbedingt eine neue Müllhalde anlegen. Wissenschaftler*innen warnten vor möglichen Unglücken durch große Mengen Methan, die sich im Morast anhäuften.
Jahrelang wurde nach geeigneten Standorten im Speckgürtel der Hauptstadt gesucht. Anwohner*innen und lokale Abgeordnete gingen überall dagegen auf die Barrikaden. Es kam keine Einigung zustande. Also wurde stets weiter der Müll in Kiteezi angehäuft. Ein Untersuchungsbericht, der nach dem Unglück im August 2024 in Auftrag gegeben wurde, kam zum Schluss, dass die Müllhalde seit 2014 nicht mehr von der Umweltbehörde lizenziert ist. Sprich: Seit mehr zehn Jahren laden Ugandas Müllfirmen den Unrat dort illegal ab. Das einstige Loch ist mittlerweile der höchste Berg im Umkreis der Hauptstadt.
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Ich bin dabei!Rund 2.500 Tonnen Abfälle fallen täglich in Kampala an. Aber nur die Hälfte wird auf die Deponie gebracht. Die andere Hälfte wird verbrannt oder endet in den Straßengräben. In Uganda gibt es keine Mülltrennung: Von der Bananenschale bis zum Elektroschrott landet alles unsortiert auf einem Haufen. Während andere Länder auf Recycling und Kreislaufwirtschaft setzen oder Bioabfälle in Biogas umwandeln, hat Uganda diesen Trend verschlafen.
Seit 2016 verfolgt die Stadtverwaltung die Idee, eine neue Deponie anzulegen, in der Müll fachgerecht getrennt, entsorgt und gelagert wird. Doch für die Umsetzung fehlt das Geld. Immerhin, die Katastrophe war ein Weckruf: Kurz danach rechneten Umweltexpert*innen vor, dass das Land jährlich über eine Milliarde Euro verliere, weil der Müll nicht wiederverwertet wird. Doch statt Lösungsansätze anzugehen, kam es knapp ein Monat nach dem Unglück in Kampalas Stadtrat zum Eklat. Politiker*innen beschuldigten sich gegenseitig, die Warnungen missachtet zu haben und begannen aufeinander einzuschlagen: Stühle wurden geworfen, Fäuste geschwungen.
Überschwemmungen und Tote
Nur eine Woche nach dem Unglück wurde die Deponie in Kiteezi geschlossen, um weiteren Katastrophen vorzubeugen. Die Müllabfuhr wurde angewiesen, den Müll auf Deponien in weit entfernten Kleinstädten abzuladen. Dies führt seitdem dazu, dass die Müllautos längere Anfahrtstrecken haben und damit deutlich weniger Müll eingesammelt wird.
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Als Folge türmen sich an fast jeder Straßenecke die Abfallberge. Öffentliche Mülltonen platzen aus allen Nähten. In den offenen Abwasserrinnen sammelt sich der Unrat. Ein fauliger Gestank hängt in den Gassen. Fliegen summen umher. Moskitos brüten im Unrat. Viele Haushalte, Restaurants und Hotels sind dazu übergegangen, den nicht abgeholten Müll im Hinterhof anzuzünden, was die Dunstglocke über der Stadt weiter mit toxischen Gasen anreichert. Während der Regenzeit wird nun der Müll in den Straßengräben zur tödlichen Falle. Denn dann donnern gigantische Wassermassen die Hügel hinab. Eigentlich sollten diese durch die offenen Gräben entlang der Straßen in die Kanalsysteme in den Tälern eingeschleust werden, die in den Victoriasee münden. Doch nun sind sie verstopft.
Wie gefährlich dies ist, erlebten die Ugander*innen Ende Oktober. Der Nakivubo-Kanal, der vom äußersten Norden der Hauptstadt bis zum Victoria-See im Süden fließt und einen Großteil der Wassermassen in den See kanalisiert, wird derzeit renoviert. Geschäftsleute hatten Präsident Yoweri Museveni überzeugt, dass der stinkende Kanal, in welchem sich der Müll staut, abgedeckt werden soll. Während unterirdisch alles abfließt, soll oberirdisch eine Fußgängerzone mit Parkanlage entstehen – eigentlich eine gute Idee. Doch während der Bauarbeiten wurden keine Ersatzabflusssysteme für die Wassermassen und all den Abfall angelegt, der mit dem Wasser weggespült wird. Als dann ein Gewitter über der Hauptstadt niederging, wurde die Innenstadt komplett überflutet – ganze Einkaufszentren standen unter Wasser.
Im Zuge des Klimawandels sind Städte wie Kampala, die von den Kolonialherren einst nahe der Küsten oder Ufer von Seen und Flüssen errichtet wurden, ohnehin anfällig für Überschwemmungen. Kommt dann noch ein Müllproblem hinzu, verschärft sich die Gefahr. Damit erklären sich die enorm hohen Todeszahlen durch Fluten: Täglich ertrinken in Uganda im Durschnitt neun Menschen – darunter mindestens drei Kleinkinder. Jährlich sind es rund 3.000 Todesfälle dieser Art. Die meisten ereignen sich paradoxerweise nicht im Umkreis von Ugandas zahlreichen Seen und Flüssen, sondern in den Städten. Dort ist die Todesrate über 60 Mal so hoch wie der afrikaweite Durchschnitt.
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Tauchen nach Müll
An den Ufern des gewaltigen Victoriasees wird das ganze Ausmaß von Ugandas Müllproblem auf einen Blick sichtbar. Agrey Dravule trägt seinen Neoprenanzug und taucht vorsichtig seinen Zeh ins Wasser, bevor er in seine Flossen steigt. Dann prüft er die Pressluftflasche, die er auf dem Rücken trägt, und blickt sich um. Am Strand liegen Plastikflaschen, Plastiktüten, alte Batterien und Bananenschalen im Sand: „Der See ist die größte Müllkippe Ostafrikas“, sagt er und streift seine Taucherbrille über.
Als einer von nur wenigen ausgebildeten Tauchern im Land kümmert sich der 25-Jährige um die zahlreichen Fischzuchtanlagen. Manchmal beauftragt ihn auch die Marine, gesunkene Boote und Leichen zu bergen. Doch Dravule weiß: In den Tiefen liegen Unmengen an Abfällen. Mittlerweile ist der See durch den Unrat und ungeklärte Abwässer so verseucht, dass Dravule nach dem Tauchen Hautausschlag bekommt, manchmal wird ihm sogar übel – eine Folge der Bakterienansammlung im Wasser.
Der Victoriasee im Herzen Afrikas ist der größte des Kontinents und der zweitgrößte der Welt, flächenmäßig etwa so groß wie Bayern. Er spendet rund 50 Millionen Menschen entlang seiner Ufer Wasser, er liefert Fisch und er dient als Transportweg. Aus diesem gewaltigen Gewässer entspringt der Nil, der sich bis nach Ägypten ins Mittelmeer schlängelt.
Doch der See droht sich in eine gigantische Müllkippe zu verwandeln. Bereits 2005 wurde das Gewässer von der internationalen Umweltschutzorganisation Global Nature Fund zum meistgefährdeten See der Welt erklärt. Im Jahr 2016 hat die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC), deren Mitglied Uganda ist, eine Initiative gestartet, den Victoriasee zu retten und ein Gesetz erlassen, um vor allem den Gebrauch von Einwegplastik zu verbieten und mehr Müll zu recyclen. Auch Uganda hat 2018 die entsprechenden Gesetze erlassen, aber an der Umsetzung mangelt es. Der Grund: In Uganda hat die Plastikindustrie großen Einfluss, einige Politiker sind Anteilhaber von Unternehmen, die Plastik produzieren.
Doch jetzt zerstören die Abfälle die Lebensgrundlage der Menschen. Für fast 50 Millionen Menschen, die an den Ufern des gewaltigen Sees in Uganda, Kenia und Tansania leben, ist Fisch das Hauptnahrungsmittel und dessen Verkauf ihr einziges Einkommen. Eine im Jahr 2021 gestartete Untersuchung von Biolog*innen aus allen drei Ländern zeigt eine größer werdende Konzentration von Mikroplastik in den Fischen. Mitunter verschlucken die Tiere ganze Tüten, die deren Mägen verstopfen, so die Studie. Biologen der staatlichen Makerere-Universität in Kampala warnen bereits vor gesundheitlichen Folgen – zumal auch das Trinkwasser aus dem See gewonnen wird.
Taucher Agrey Dravule sammelt in seiner Freizeit Müll vom Boden des Victoriasees
Dass sich so viel Müll im Victoriasee ansammelt, liegt vor allem an der Geografie der Region. Das riesige Gewässer im Herzen des Kontinents wird aus abertausenden kleinen Zuflüssen gespeist. Fast alle führen durch Dörfer oder gar Städte wie Kampala, wo Menschen ihren Unrat einfach in die offenen Abwasserkanäle werfen oder das Regenwasser diesen in den See transportiert.
Das kleine ugandische Fischerdorf Guda, von wo aus Dravule tauchen geht, liegt rund 20 Kilometer von der Hauptstadt Kampala entfernt in einer kleinen Bucht, über der die Vögel kreisen. Die meisten der 500 Einwohner*innen sind Fischer, ihre Existenzgrundlage ist der See. Sie leben zumeist direkt am Ufer in selbstgebauten Holzbaracken mit Wellblechdächern, ohne Wasseranschluss oder Toiletten – und vor allem ohne Müllentsorgung. Die schmalen matschigen Gassen sind voller Unrat. Fliegen summen umher, der See stinkt wie eine Kloake.
Taucher Dravule will das ändern. Jedes Wochenende schnappt er sich seine Ausrüstung, um nach Unrat zu tauchen. Säckeweise Plastikflaschen, Plastiktüten, kaputte Fischernetze, Autoreifen oder sogar ganze Motorräder – er kann gar nicht alles aufzählen, was er schon aus dem See gefischt hat. Die Idee sei ihm vor einem Jahr gekommen, sagt er: „Eines Tages dachte ich mir: Wie lässt sich sowas vermeiden? Und wie kann ich vielleicht etwas verändern?“ Also fing Dravule an, nach Müll zu tauchen und Kollegen aus seinem Verein zu motivieren, ihn zu begleiten. „Ich dachte, wir können gemeinsam etwas bewirken, wenn die Regierung hier nicht aktiv wird“, nickt er.
Dann steckt er sich das Mundstück zwischen die Zähne und watet in das blaugrün schimmernde Wasser hinein. Als Dravule wieder auftaucht, guckt er enttäuscht. Gerade einmal eine Handvoll Plastikflaschen hat er einfangen können. „Die Sichtweite ist gleich null“, klagt er. Die Unmengen an Blaualgen im See, die sich aufgrund der Verschmutzung rasant vermehren, färben das Wasser blaugrün und machen es trübe. Einige der von diesen Bakterien produzierten Toxine gehören zu den stärksten natürlichen Giften weltweit und können auch für Menschen und Landtiere gesundheitsgefährdend sein.
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Der Müll nimmt den Fischern ihr Einkommen
Während Dravule sich aus seinem Neoprenanzug schält, kommen immer mehr Leute angelaufen. Einige klatschen und jubeln ihm zu. Dass er heute keine Säcke voller Unrat bergen konnte, ist für den Aktivisten kein Problem, sagt er. Denn: „Was langfristig einen Unterschied macht, ist, dass mein Tauchgang bei der Bevölkerung ein Umdenken bewirkt.“
Dann schleppt er seine Pressluftflasche bis zu einer Holzhütte, in der Dorfvorsteher Henry Kyemba sein Büro hat. „Ich versuche die Leute schon lange zu überzeugen, ihren Müll nicht in den See zu werfen“, erklärt der Gemeindevorsitzende. Mit einer Handbewegung fordert der alte Mann den Taucher auf, mitzukommen. Etwas versteckt hinter kaputten alten Fischerbooten, türmt sich am Strand ein Berg voller Unrat: Plastik- und Glasflaschen, Mülltüten, Essensabfälle – alles auf einem Haufen, nur wenige Meter vom Ufer entfernt. „Wir haben in unserer Gemeindekasse kein Budget für Müllentsorgung“, klagt er.
Dravule seufzt: „Der Müll wird den Menschen langfristig ihr Einkommen nehmen, weil die Fische an all dem Plastik zugrunde gehen“, mahnt Dravule. Dann drückt er dem älteren Mann die Telefonnummer der örtlichen Müllfirma in die Hand. „Lassen Sie den Müll entsorgen“, rät er. „Sonst finde ich ihn eines Tages im See wieder.“