In der Bajo Lempa Region in El salvador: Trauer um eins der vielen Opfer der Niereninsuffizienz. | Foto: Rhina Guevara
Südlink-Magazin

Gesundheit in Gefahr

In den Zuckerrohranbaugebieten Zentralamerikas hat sich die chronische Nierenerkrankung zu einer regionalen Epidemie entwickelt.

von Angélica Alfaro
Veröffentlicht 20. MÄRZ 2023

Monokulturen sollen unbedrängt von anderen Pflanzen und Schädlingen wachsen, um Erträge zu maximieren. Daher setzen Unternehmen vor, während und nach der Pflanzzeit große Mengen Agrargifte ein. Auch beim Zuckerrohranbau ist dies so. Für Menschen und Umwelt hat das schwerwiegende Folgen. In Zentralamerika sind bereits zehntausende Menschen an Nierenerkrankung gestorben.

Seit der Kolonialzeit hat sich in Zentralamerika ein Landwirtschaftsmodell entwickelt, das auf Exporte setzt. Die Produkte dafür werden vor allem auf Plantagen angebaut. Zum Beispiel Zuckerrohr, das in Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua auf einer Fläche von mehr als 476.000 Hektar (Stand 2020) wächst und in insgesamt 27 Raffinerien weiterverarbeitet wird. Tendenz deutlich steigend. Allein zwischen 2000 und 2019 hat sich die Anbaufläche in Nicaragua um 51 Prozent, in Guatemala um 48 Prozent, in Honduras um 32 Prozent und in El Salvador um 18 Prozent erhöht.

Der Zuckerrohranbau hat tiefgreifende soziale, politische, ökologische und kulturelle Veränderungen in den zentralamerikanischen Ländern bewirkt. Die Menschen in den betroffenen Gemeinden berichten über zahlreiche Probleme, unter denen sie durch den Zuckerrohranbau leiden. Dazu zählen die intensive Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, die Verschmutzung des Wassers, Entwaldung, die Verdrängung lokaler Produktionssysteme und eine Verschlechterung der Gesundheit.

So berichtet Teresa Casha, Vorstandsmitglied des Rates der Gemeinden von San Juan El Húmedo im Landkreis Champerico, Guatemala: „Vor fünfzehn Jahren konnte man hier noch etwas anbauen, aber seit die Wälder zerstört wurden, um sie durch Zuckerrohr zu ersetzen, gibt es nicht mehr genug Wasser. Es regnet nicht mehr so viel wie früher. Die Flüsse, die Lagune und der Brunnen sind ausgetrocknet. Die Kinder und die älteren Menschen leiden, wenn die Zuckerrohrfelder abgebrannt werden.

María Pérez, Vorstandsmitglied der „Vereinigung für das Leben und die Umwelt“ (Asoprovima) in der Region Sasama im Landkreis El Viejo, Nicaragua, erinnert an die Geschichte einer 47-jährigen Frau, die vor zehn Jahren gesundheitliche Schäden erlitt, als von einem Flugzeug aus Zuckerrohrfelder besprüht wurden: „Sie hat ihre ganzen Haare verloren. Das Unternehmen hat ihr eine Perücke machen lassen, aber entschädigt hat es sie nicht.“

Eine Krankheit der Zuckerrohrplantagen

Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftssektor in Zentralamerika, in dem 44 Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung arbeiten. Der Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden hat sich zwischen 2000 und 2019 verdreifacht. So stieg der Einsatz in Guatemala in diesem Zeitraum von 10.461 auf 30.561 Tonnen und in Nicaragua von 6.034 auf 21.689 Tonnen.

Das größte Problem der im Rahmen einer Studi untersuchten Gemeinden waren die vielen Erkrankungen und auch Todesfälle in Folge von chronischer Nierenerkrankung (bekannt als CKD, Englisch für Chronic Kidney Disease), aufgrund der endemischen Verbreitung in Mittelamerika auch Mesoamerikanische Nephropathie (bekannt als MeN, Englisch für Mesoamerican Nefropathy) genannt. Diese Krankheit hängt nicht mit Diabetes oder Bluthochdruck zusammen und wurde vor etwa zwanzig Jahren erstmals beschrieben.

Die Ursachen für die Erkrankung sind noch nicht eindeutig geklärt. In der Region tritt sie häufig bei Männern im arbeitsfähigen Alter auf, ist zum Zeitpunkt der Diagnose oft schon fortgeschritten und damit häufig nicht mehr heilbar. Viele betroffene Gemeinden befinden sich in Gebieten in geringer Höhe und mit hohen Temperaturen, zumeist in der Nähe der Pazifikküste. Es ist ein Gebiet, das in den letzten Jahrzehnten den größten Anteil an Zuckerrohranbauflächen aufwies.

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Medizinische Untersuchungen von verschiedenen Fällen in El Salvador zeigen gemeinsame klinische und histopathologische (Gewebeanalyse) Merkmale der nicht-traditionellen CKD auf, darunter Appetitlosigkeit, Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit, Muskelschmerzen, Krämpfe und neurologische Veränderungen. Symptome von Patienten mit chronischer Nierenerkrankung, die auch María Pérez aus Sasama bestätigt: „Es ist eine Krankheit, die die Harnsäure und den Blutdruck verändert, zu Anämie und Allergien führt und die Leber und die Nieren schädigt.“

Nach Angaben der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (OPS) gab es zwischen 2009 und 2013 in Zentralamerika 61.056 Todesfälle wegen Niereninsuffizienz, wobei 41 Prozent der Verstorbenen jünger als 60 Jahre alt waren. 2019 verzeichneten El Salvador und Nicaragua 72,9 bzw. 73,9 Todesfälle pro 100.000 Einwohner*innen.

In manchen Gebieten ist die Lage besonders dramatisch. So berichtet María Pérez aus Sasama im Landkreis El Viejo, Nicaragua, von mehr als 2.000 Toten in den Gemeinden in der Nähe der Zuckermühle Monterrosa. In El Viejo sei CKD die häufigste Todesursache. Im Nachbarlandkreis Chichigalpa würden jeden Tag sieben Menschen an der chronischen Nierenerkrankung sterben.

Hochgefährliche Agrargifte, nicht nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken, anstrengende Arbeitsbedingungen, die Einnahme von verunreinigtem Wasser und Dehydrierung gehören zu den Risikofaktoren, um an CKD zu erkranken. Für CENCAM, ein Zusammenschluss internationaler Expert*innen, die zum Thema chronische Nierenerkrankung in Zentralamerika und Mexiko arbeiten, sind einige auf Zuckerrohrplantagen eingesetzte Agrargifte (insbesondere Glyphosat, Chlorpyrifos und Paraquat) und die darin enthaltenen Schwermetalle (unter anderem Kadmium, Arsen, Blei) mögliche Ursachen für die vielen Fälle von Niereninsuffizienz in der Region. Die Betroffenen sind den Giftstoffen sowohl direkt am Arbeitsplatz als auch durch die Kontamination der Ökosysteme (Boden, Wasser, Luft, Lebensmittel) in ihrer Umgebung ausgesetzt. Ganze Gemeinden sind gefährdet.

Manche Pestizide müssen verboten werden

Die besondere Gefährlichkeit der verwendeten Pestizide ist inzwischen weithin bekannt. In den USA wurde der Bayer-Konzern, der seit dem Erwerb des US-amerikanischen Unternehmens Monsanto Glyphosat-haltige Pestizide vertreibt, bereits mehrmals zur Zahlung hoher Schadensersatzzahlungen verurteilt, nachdem Menschen, die Glyphosat-haltige Pestizide einsetzten, schwer erkrankt waren.

Neben vielen anderen Organisationen und Einrichtungen fordert auch die Internationale Vereinigung für Gynäkologie und Geburtskunde ein Verbot der Anwendung von Glyphosat. Auch im Fall von Chlorpyrifos gibt es eindeutige Beweise für die Schädigung der menschlichen Gesundheit, insbesondere bestehen schwerwiegende Entwicklungsrisiken für Kinder sowie für diesem Agrargift direkt ausgesetzte Landarbeiter*innen.

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Seit 2011 haben die zentralamerikanischen Gesundheitsbehörden und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt, dass CKD ein Problem für die öffentliche Gesundheit in den betroffenen Ländern bedeutet und hohe menschliche Kosten für die bäuerlichen Gemeinschaften und ebenso große wirtschaftliche Kosten für die Gesundheitssysteme der Region verursacht.

Angesichts der stetig wachsenden Anbaufläche für Zuckerrohr und des fehlenden Schutzes für die Arbeiter*innen auf den Plantagen sowie die umliegenden Dörfer warnen verschiedene Nichtregierungsorganisationen auf der Grundlage ökotoxikologischer Untersuchungen vor wachsenden  Auswirkungen und höheren Risiken der Pestizide für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Darüber hinaus fordern sie die staatlichen Behörden auf, die Verwendung hochgefährlicher Agrargifte zu verbieten. Außerdem fordern sie eine bessere Unterstützung derjenigen, die an chronischer Niereninsuffizienz erkranken, da die Behandlung dieser Krankheit, die sich zu einer regionalen Epidemie entwickelt hat, sehr hohe Kosten verursacht.

Aus dem Spanischen von Michael Krämer.

 

Angélica Alfaro ist freie Gutachterin aus Nicaragua und Referentin für Umwelt und nachhaltige Entwicklung auf nationaler und regionaler Ebene.

 

Die im Beitrag verwendeten Zitate stammen aus einer Studie der Autorin: „Sembrando injusticias. Impactos socioambientales de los monocultivos de la caña de azúcar y palma aceitera en Centroamérica“. ACAFREMIN. San Salvador 2022.

Aus dem Spanischen von Michael Krämer.

 

Angélica Alfaro ist freie Gutachterin aus Nicaragua und Referentin für Umwelt und nachhaltige Entwicklung auf nationaler und regionaler Ebene.

 

Die im Beitrag verwendeten Zitate stammen aus einer Studie der Autorin: „Sembrando injusticias. Impactos socioambientales de los monocultivos de la caña de azúcar y palma aceitera en Centroamérica“. ACAFREMIN. San Salvador 2022.

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