Abrennen von Zuckerrohrfelden, El Salvador
Südlink-Magazin

Der Fluch der Monokultur

Warum der Zuckerrohranbau in El Salvador so nicht fortgeführt werden darf.

von Bernardo Belloso und Amalia López
Veröffentlicht 9. MÄRZ 2023

In einem autoritären Staat sind Vorschläge aus der Zivilgesellschaft wenig gefragt und können für die Initiator*innen gefährliche Folgen haben. Aber in El Salvador engagieren sich die Menschen dennoch gegen einen Zuckerrohranbau, der die Lebensgrundlagen für die Bevölkerung und die Umwelt zerstört.

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Welche Bedeutung haben der Anbau und die Verarbeitung von Zuckerrohr in El Salvador?

Bernardo Belloso: El Salvador ist mit einer Fläche von nur rund 21.000 Quadratkilometern ein sehr kleines Land. Doch bezogen auf die Größe und die Einwohner*innenzahl produziert es mit mehr als 800.000 Tonnen sehr viel Zucker und ist damit der zweitgrößte Zuckerproduzent in Zentralamerika. Die Anbaufläche beträgt mehr als 80.000 Hektar. Zu mehr als fünfzig Prozent wird der Zucker exportiert: immer mehr nach China, aber auch in die Europäische Union und in die USA.

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Alle mögen Zucker, doch er kann ziemlich ungesund sein. Für diejenigen, die zu viel davon konsumieren. Besonders aber für all jene, die in den Anbaugebieten leben und großen Mengen hochgefährlicher Agrargifte ausgesetzt sind. Bei 92 Gramm liegt der tägliche Pro-Kopf…

Beeindruckende Zahlen. Ein Grund zur Freude?

B.B.: Zucker ist ein wichtiges Anbaugut in El Salvador. Wenn aber ein landwirtschaftliches Gut vor allem in Monokulturen angebaut wird, entstehen enorme Probleme. Es zählen nur die wirtschaftlichen Interessen der großen Unternehmen. Die Umwelt und die Gesundheit und andere soziale Bedürfnisse der Bevölkerung bleiben auf der Strecke.

Wer auf den Zuckerrohrfeldern arbeitet, tut dies unter sehr schlechten Bedingungen. Angeblich arbeiten 50.000 Menschen direkt und 120.000 Menschen indirekt in El Salvador in der Zuckerproduktion. Doch diese Zahlen sind nicht zuverlässig. Zudem haben viele der 50.000 nur für die Zeit der Ernte einen Job, der auch noch sehr schlecht bezahlt ist.

Welche Rolle spielen denn die großen Unternehmen? Wird der gesamte Zucker auf großen Plantagen angebaut oder auch auf kleineren Flächen?

Amalia López: Die Zahlen sind nicht bekannt. Ein Großteil der Anbaufläche ist jedenfalls Eigentum der Zuckerfabriken und anderer großer Unternehmen, oder wird von ihnen gepachtet. Die Unternehmen zahlen derzeit 500 US-Dollar jährliche Pacht für eine Manzana Land (= 0,7 Hektar; Anm. der Red.), das ist viel Geld für einen kleinen oder mittleren Landbesitzer.

Und wegen der steigenden weltweiten Nachfrage wird die Anbaufläche stetig ausgeweitet. Das verschärft den Druck auf die kleinbäuerlichen Landpächter*innen. Sie können die steigende Pacht nicht bezahlen, da der Anbau von Grundnahrungsmitteln nicht so viel einbringt. Ein weiteres Problem: Zuckerrohr wird immer mehr auf Flächen angebaut, die das ganze Jahr bewässert werden müssen. Das erzeugt einen enormen Druck auf die Wasserquellen.

Doch der Zuckerverband ist sehr einflussreich und sorgt dafür, dass sich da nichts ändert und die Unternehmen die Zuckerrohrfelder weiterhin unbegrenzt bewässern dürfen.

Sprechen wir über weitere Probleme, die mit dem Zuckeranbau verbunden sind. Wie steht es um den Einsatz von Agrargiften?

A.L.: Vor allem Paraquat und Glyphosat werden in großen Mengen eingesetzt, als Herbizid, aber auch als Reifungsmittel, um den Saccharose-Anteil im Zuckerrohr zu erhöhen. Glyphosat wird aus der Luft auf die Felder gesprüht, wobei die umliegenden Gemeinden immer wieder in Mitleidenschaft gezogen werden. Das kann bedeuten, dass benachbarte Mais- und Bohnenfelder, Gemüseparzellen oder Obstbäume betroffen sind, Früchte absterben. Es wird aber auch das Wasser kontaminiert – eine große Gefahr für die Gesundheit der Menschen, die dort leben und arbeiten.

Zuletzt sind die Pestizide deutlich teurer geworden. Beim Sprühen aus der Luft werden verstärkt Drohnen eingesetzt. Sie sind genauer und können in sehr niedriger Höhe über den Feldern fliegen. Dadurch verwehen die Agrargifte weniger weit.

Wenn man zur Erntezeit des Zuckerrohrs in El Salvadors ist, sieht man, dass viele Felder abgebrannt werden. Was hat es damit auf sich?

A.L.: Wenn die Blätter und andere Pflanzen abgebrannt werden, erleichtert dies die Ernte. Außerdem verlieren die Pflanzen an Gewicht, das macht den Transport in die Zuckerfabriken einfacher. Und der Zuckeranteil im Zuckerrohr erhöht sich.

Das Abbrennen ist aber aus mehreren Gründen höchst problematisch: Der Rauch und die Rußpartikel beeinträchtigen die Menschen noch in einer Distanz von vielen Kilometern, sie bekommen Atemwegserkrankungen und Hautreizungen. Die Rußpartikel verschmutzen das Wasser.

Außerdem werden alle anderen Pflanzen und auch viele Tiere getötet. Und immer wieder greifen die Flammen auf andere Felder über und manchmal auch auf Wälder oder umliegende Dörfer. In der Gegend von Tecoluca hat ein Feuer auf eine benachbarte Kakaoanpflanzung übergegriffen. Vier Manzanas Kakao wurden zerstört, aber der Besitzer hat keine Entschädigung bekommen.

Durch das Abbrennen der Felder wird das Wasser durch Rußpartikel verschmutzt. Dies ist aber nicht das einzige Problem im Zusammenhang mit dem Thema Wasser, oder?

B.B.: Es gibt noch zwei viel schwerwiegendere Probleme. Das erste ist der übermäßige Wasserverbrauch für die intensiv bewässerten Zuckerrohrfelder. Die Plantagenbesitzer holen das Wasser mit enorm starken Pumpen aus sehr großen Brunnen aus bis zu 100 Meter Tiefe. In den umliegenden Gemeinden aber sind die Brunnen viel weniger tief. Die Folge: Sie haben immer weniger Wasser zur Verfügung, manchmal fallen die Brunnen dort sogar ganz trocken.

Das zweite Problem ist die Verschmutzung des Wassers durch den hohen Einsatz der Agrargifte. Das Gift kann in die Brunnen der umliegenden Gemeinden gelangen oder in den Boden versickern und Wasserquellen verschmutzen. Doch egal was passiert, die Bewohner*innen bekommen keine Unterstützung, weder von den Zuckerunternehmen noch vom Staat.

A.L.: In den Zuckeranbauregionen ist inzwischen so gut wie das gesamte Oberflächenwasser kontaminiert. Eigentlich ist es nicht mehr als Trinkwasser geeignet, doch viele Menschen haben keine Alternative. Sie müssten Flaschenwasser trinken, aber das ist viel zu teuer für sie.

Aber nicht nur die Menschen in den Zuckerrohranbaugebieten leiden unter diesem hohen Wasserverbrauch. Auch für die großen Städte gibt es immer weniger Wasser, vor allem in den Armenvierteln bleiben die Wasserhähne immer öfter trocken.

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Und wie steht es um die Niereninsuffizienz?

A.L.: Die ist nach wie vor ein riesiges Problem in El Salvador. Nach aktuellen Angaben des Gesundheitsministeriums ist Niereninsuffizienz die zweithäufigste Todesursache bei erwachsenen Männern und die vierthäufigste bei Frauen. 

B.B.: Allein im Landkreis Tecoluca, wo ich arbeite, waren 2022 mindestens 400 Personen an Niereninsuffizienz erkrankt und mindestens 20 sind daran gestorben. Vermutlich sind die Zahlen noch höher, weil in die Totenscheine regelmäßig andere Todesursachen eingetragen werden. Es ist offensichtlich, dass es mit dem hohen Einsatz von Agrargiften zusammenhängt.

Wegen all dieser Probleme, die der Anbau von Zuckerrohr verursacht, gibt es die Kampagne „Azúcar Amarga“ („Bitterer Zucker“). Was bezweckt diese Kampagne?

A.L.: Die Kampagne ist 2021 entstanden, um etwas gegen das ungebremste Wachstum dieser extraktivistischen Industrie zu unternehmen, die der Anbau von Zuckerrohr auf großen Plantagen darstellt. Nicht der Anbau an sich ist das Problem, sondern die großen Monokulturen und der rücksichtslose Umgang mit den Menschen und mit der Natur. Daher auch der Name der Kampagne: Für die Menschen, die in den Zuckerrohranbaugebieten leben und besonders diejenigen, die auf den Plantagen arbeiten, ist der Zucker überhaupt nicht süß, sondern höchst bitter.

Der Schwerpunkt unserer Arbeit im vergangenen Jahr war es, die breite Öffentlichkeit über die Situation in den Zuckerrohranbaugebieten zu informieren. Wie die Menschen und ihre Gemeinden durch den Anbau betroffen sind und wer von den großen Plantagen profitiert.

Und dann wollen wir auch noch darüber aufklären, dass Zucker eben nicht nur ein normaler Bestandteil unserer Ernährung ist, sondern höchst ungesund, wenn er in so großen Mengen konsumiert wird, wie dies in El Salvador der Fall ist.

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Soll gar kein Zucker mehr angebaut werden in El Salvador?

A.L.: Zumindest nicht mehr auf so großen Flächen und in diesem Ausmaß. Um die Bevölkerung dafür zu sensibilisieren, informieren wir über die sozialen Medien, durch Artikel und durch Veranstaltungen. Und wir organisieren Kundgebungen, um gegen das illegale Abbrennen der Felder zu protestieren.

 

Vermutlich wird die Kampagne nicht so schnell ein Ende der Plantagenwirtschaft in El Salvador erreichen. Welche Ziele hat die Kampagne neben diesem Fernziel sonst noch?

B.B.: Für dieses Jahr haben wir uns mehrere Ziele gesetzt. Erstens wollen wir uns gegenüber politischen Entscheidungsträgern für Gesetze und eine Politik einsetzen, die einen besseren Schutz der Umwelt und vor allem der Wasserquellen garantieren. Wir fordern nicht nur Gesetze auf nationaler Ebene, sondern auch Verordnungen auf Landkreisebene, mit denen die Produktion auf den Plantagen besser kontrolliert werden kann.

Zweitens wollen wir Beschwerdemechanismen schaffen. Die Menschen in den Zuckeranbaugebieten sollen sie nutzen können, wenn in ihren Gemeinden etwas passiert, das die Umwelt schädigt oder die Bewohner*innen in Gefahr bringt. Und drittens wollen wir mit der Kampagne stärker als im ersten Jahr in die Anbaugebiete selbst gehen und dort mit den betroffenen Menschen arbeiten.

Wir müssen zudem ein weiteres Problem angehen: Die Zuckerunternehmen eignen sich in manchen Regionen auch Ländereien an, die Gemeinden oder Kooperativen gehören, aber vorübergehend brachliegen. Diese Grundstücke werden dann von privaten Sicherheitsdiensten bewacht. Zum Beispiel in der Gemeinde Sabana, in der ich wohne. Ein Unternehmen hat sich 30 Manzanas Land angeeignet, die wir nicht nutzten, ein Teil davon war ein ökologisch wertvoller Mangrovenwald. Auch dort wächst heute Zuckerrohr.

Ist die Regierung von Präsident Nayib Bukele denn gesprächsbereit?

B.B.: Es ist nicht einfach, mit der aktuellen Regierung in einen Dialog zu treten. Vor allem wenn es darum geht, Gesetze zu verabschieden, die den Zuckersektor besser regulieren. Die großen Zuckerunternehmen haben eine viel größere Nähe zur Regierung. Was wir erreichen müssen, ist ein breites Bündnis gegen den Einsatz hochgefährlicher Agrargifte. Nicht nur im Zuckerrohranbau, sondern überhaupt in der Landwirtschaft.

 

A.L.: Mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament meint die Regierung, dass sie mit niemandem sprechen und dessen Argumente anhören muss. Zugleich wird die wirtschaftliche Lage für die Bevölkerung immer schwieriger. Die Preise für Nahrungsmittel steigen enorm, auch weil sich El Salvador gar nicht mehr selbst ernähren kann und auf Importe angewiesen ist.

Die Bevölkerung leidet darunter, aber die Regierung betreibt einen enormen Aufwand, um die Lage besser darzustellen als sie ist. Mit einigem Erfolg: Die Regierung hat große Unterstützung.

 

Welche Rolle spielt denn der Ausnahmezustand, den die Regierung El Salvadors im März 2022 verhängt hat und Monat für Monat verlängert?

A.L.: Das Notstandsregime hat viele demobilisiert. Weil sie Verwandte haben, die verhaftet wurden, haben sie nun Angst davor, etwas mit Organisationen zu tun zu haben, die nicht regierungsnah sind. Der Druck auf zivilgesellschaftliche Organisationen ist enorm groß, wir sind zum Feind der Regierung geworden.

 

B.B.: In Tecoluca haben Polizei und Militär viele junge Menschen verhaftet, die nichts mit den Banden zu tun haben. Sie kommen aus Gemeinden, in denen es gar keine Banden gab. Der Ausnahmezustand ist meines Erachtens auch ein Instrument, um die Organisation der Gemeinden zu zerschlagen und zu verhindern, dass deren Bewohner*innen sich gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung wehren.

 

Wirkt sich das auch auf Organisationen wie Cripdes aus, die schon seit Jahrzehnten an der Seite der Gemeinden zum Beispiel im Landkreis Tecoluca arbeiten?

B.B.: Die Leute haben noch keine Angst davor, sich mit uns zu treffen und sich zu organisieren. Aber viele wollen sich nicht mehr an Protestaktionen beteiligen. Wir sind sehr vorsichtig und nehmen keine jungen Menschen mehr mit zu öffentlichen Aktionen, weil die Gefahr, dass sie verhaftet werden, besonders groß ist.

Wir selbst werden auch bedroht und verfolgt, lassen uns dadurch aber nicht von unserer Arbeit abbringen.

 

Ist mit Verhaftungen von Umweltaktivist*innen oder anderen Mitgliedern der Zivilgesellschaft zu rechnen?

A.L.: Es gibt bereits einige Verhaftungen. Unter dem Ausnahmezustand kann jede abweichende Stimme verhaftet werden. Dies gilt natürlich auch für den Umweltbereich und die Kampagne Bitterer Zucker. Wer sich gegen die Politik des Extraktivismus engagiert, lebt gefährlich. Die Gewaltenteilung ist in El Salvador aufgehoben und die Regierung versucht, nach und nach alle Möglichkeiten zu nehmen, Kritik zu üben. Das ist kein gutes Klima, um für Veränderungen aktiv zu sein, ganz allgemein und konkret hinsichtlich der Produktion von Zucker. Aber selbst unter diesen Umständen werden wir weitermachen – für uns und für alle anderen.

Bernardo Belloso arbeitet für den Gemeindeentwicklungsverband Cripdes vor allem in der Küstenregion Bajo Lempa, einem Hauptanbaugebiet von Zuckerrohr. Dort lebt er auch.

Amalia Carolina López arbeitet bei der salvadorianischen Umweltschutzorganisation UNES, unter anderem für die Kampagne Azúcar Amarga.

Bernardo Belloso arbeitet für den Gemeindeentwicklungsverband Cripdes vor allem in der Küstenregion Bajo Lempa, einem Hauptanbaugebiet von Zuckerrohr. Dort lebt er auch.

Amalia Carolina López arbeitet bei der salvadorianischen Umweltschutzorganisation UNES, unter anderem für die Kampagne Azúcar Amarga.

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