Südlink-Magazin

Für ein Leben des Miteinanders

Lohnt sich Nord-Süd-Arbeit im Osten Deutschlands? Auf jeden Fall, wie das Beispiel Dresden zeigt.

von Claudia Greifenhahn
Veröffentlicht 6. AUGUST 2021

Pegida und Querdenker*innen prägen die Wahrnehmung vieler ostdeutscher Städte. Dies gilt besonders für Dresden. Doch die Elbstadt hat weit mehr zu bieten und auch eine rege Nord-Süd-Szene. Nicht wenige arbeiten an der Utopie eines solidarischen Miteinanders und gerechter Nord-Süd-Beziehungen.

Nord-Süd-Arbeit im Osten, passt das zusammen? Bevor ich diese Frage beantworte, sollte ich erzählen, dass ich nicht nur in Ostdeutschland geboren bin, sondern auch seit 1986 in Dresden lebe – einer Stadt, die längst nicht mehr mit ihrer glorreichen historischen Pracht punktet, sondern sich vor allem durch rassistische, nationalistische und egoistische Auswüchse eine bundesweite Aufmerksamkeit erworben hat.

Und trotzdem lebe und arbeite ich gern in dieser Stadt, die viel mehr zu bieten hat als Pegida, Querdenker*innen und Reichsbürger*innen, eine schöne Umgebung und einen barocken Stadtkern.

Südlink 196 - Zukunftsperspektiven
Ideen für eine gerechte Welt | Juni 2021
Südlink 196 - Zukunftsperspektiven
Ideen für eine gerechte Welt | Juni 2021
Solidarität, Aktionen und Kampagnen – in Deutschland genauso wie mit Partnern in vielen Ländern des GLobalen Südens. Dafür steht INKOTA seit nunmehr 50 Jahren. Eine Jubiläumsausgabe des Südlink präsentiert Ideen für eine gerechte Welt. Was muss sich ändern angesichts…

Vielleicht ist es gerade diese Polarisierung, dieses „Rumgemeckere“, diese lautstarke Ablehnung all dessen, was fremd ist und die Menschen ignoriert, die unter wirklich prekären Verhältnissen leben, welche die Arbeit all der Organisationen und Menschen so antreibt, die diesem Hetzen etwas entgegensetzen. Die den Menschen als Individuum und unabhängig von seiner Herkunft und seinem Lebensumfeld in den Mittelpunkt stellen, Zusammenhänge beschreiben und den alltäglichen Konsum und die „Es-steht-mir-zu-Gewohnheiten“ in einen weltweiten Kontext stellen.

Als wir noch „echte Ostdeutsche“ waren, standen wir so dazwischen. Wir konnten leicht darüber sprechen, wie es sich verhält mit dem Kapitalismus, den Abhängigkeiten, den Zusammenhängen zwischen Konsum und Ausbeutung. Nord-Süd-Arbeit war eher theoretischer Natur und für viele von uns gepaart mit der Sehnsucht, die fremden und fernen Kulturen, Länder, Menschen irgendwann auch einmal mit eigenen Augen sehen und kennenlernen zu können. Ich erinnere mich noch an flammende Vorträge, als wir mit Hilfe eines Buchs aus dem Westen den Menschen auf einfachste Weise erzählten, wie alles zusammenhängt – und genau wussten, dass wir selbst nur sehr wenig damit zu tun hatten.

Die Wende hat das verändert und uns aus der Position der Beobachter*innen geworfen und zu Mittäter*innen gemacht. Plötzlich hatten wir die Möglichkeit, zu entscheiden – was wir kaufen, wo wir kaufen, ob wir reisen und wie wir es tun, wie viele Ressourcen wir verbrauchen, womit wir heizen, was wir tragen, wie wir uns fortbewegen, wie wir leben, welchen Kaffee wir trinken und ob es im Winter Erdbeeren sein müssen oder nicht. Dass jede dieser Entscheidungen hier im Norden etwas mit den Lebens- und Arbeitsverhältnissen im Süden zu tun hat, wurde zu einer Tatsache, der wir uns bis heute täglich mehr stellen müssen.

Schwere Zeiten für die Nord-Süd-Arbeit

Nord-Süd-Arbeit zu leisten in einer Gesellschaft, die sich in rasanter Geschwindigkeit individualisiert, ist harte Arbeit. Leichter ist es, die Themen Nachhaltigkeit, Ökologie und gesunde Ernährung zu bearbeiten – betreffen diese doch das eigene Leben, den eigenen Körper, die Zukunft der eigenen Kinder und Enkelkinder. Dass die Fokussierung auf die Welt als Ganzes genau dasselbe tut, ist ungleich schwerer zu vermitteln – finden die meisten katastrophalen Ausbeutungen doch weit weg auf anderen Kontinenten oder irgendwo in Osteuropa statt und haben – oberflächlich betrachtet – mit unserem eigenen Leben so gar nichts zu tun.

Die Lockdowns, die gefühlt ausschließliche Berichterstattung über ein Virus und die sich darum rankenden Maßnahmen haben die Arbeit im vergangenen Jahr noch komplizierter gemacht – haben doch nun alle im Wesentlichen mit Homeoffice, Homeschooling, eingeschränkter Freiheit, Gedankenspielen rund um Impflicht, Impfung an sich und der öffentlichen Auseinandersetzung um die Versuche, das Virus einzudämmen, zu tun. Gilt es doch jetzt, möglichst genügend Vorräte zu besitzen, um eventuelle Totalschließungen zu überstehen. Und auch Solidarität mit denjenigen, die in unserem eigenen Land stark von der Pandemie betroffen sind – Kulturschaffende, Gastronom*innen, Einzelhändler*innen außerhalb des Lebensmittelhandels – rückt mehr und mehr in den Vordergrund.

Abo

Abonnieren Sie den Südlink

Im Südlink können Autor*innen aus dem globalen Süden ihre Perspektiven in aktuelle Debatten einbringen. Stärken Sie ihnen den Rücken mit Ihrem Abo: 4 Ausgaben für nur 16 Euro!

Diese Solidarität ist wunderbar, ihre beschränkte und auf Deutschland reduzierte Perspektive erschwert aber die Nord-Süd-Arbeit zusätzlich. Die Probleme – auch wenn sie gerade in Corona-Zeiten in großen Teilen sogar ähnlich gelagert sind - der anderen rücken in noch weitere Ferne. Was macht das alles mit uns? Werden wir aufgrund der aktuellen Situation zu extremen Egoist*innen? Vergessen wir, dass unser Lebensstil maßgeblich dafür verantwortlich ist, unter welchen Umständen andere leben?

Ich bin froh, dass die Klimadiskussionen nur kurzzeitig nahezu verstummt sind. Dass all jene, die sich bei Fridays for Future engagieren, auch weiterhin die Finger auf die Wunden halten und die Menschen, die es hören wollen, aufrütteln.

Gelebte Solidarität als Alternative

Theoretisch wissen wir alle, dass die Erde ausgelaugt ist. Dass wir mehr verbrauchen als uns zusteht, dass der Tag, an dem wir die Ressourcen, die uns in einem Jahr zur Verfügung stehen, aufgebraucht haben, immer zeitiger im Jahr liegt. Dass wir auf Kosten unserer Nachkommen leben. Theoretisch wissen wir alle, dass es unmöglich ist, dass alle Menschen auf der Welt unseren Lebensstandard erreichen. Doch was ist die Alternative? Ich wünsche mir eine Welt der Genügsamkeit und des Lebens im Gleichklang mit der Natur. Ein Leben mit Augenmaß.. Ein Leben des Miteinanders, des Respekts und der Toleranz.

Auch wenn das naiv klingt – ich glaube fest daran, dass die Solidarität, dieses oft verspottete Wort, ein Schlüssel ist, um eine Welt des Miteinanders zu erreichen.
Nord-Süd-Arbeit ist im Osten Deutschlands genauso wichtig wie im Westen, Süden und Norden dieses Landes. Und auch wenn es komisch klingt – wenn jede unserer persönlichen Entscheidungen Einfluss darauf hat, wie es anderen egal wo auf dieser Welt geht – dann ist das Öffentlichmachen dieser Zusammenhänge eine Grundsatzaufgabe und die Nord-Süd-Arbeit eine der system- und überlebensrelevantesten Arbeiten überhaupt.

Bleiben wir also dran. Egal wo wir leben und arbeiten.

Claudia Greifenhahn ist Geschäftsführerin des LadenCafés aha in Dresden, einer Mitgliedsgruppe des INKOTA-netzwerks.

Claudia Greifenhahn ist Geschäftsführerin des LadenCafés aha in Dresden, einer Mitgliedsgruppe des INKOTA-netzwerks.

Ihre Spende hilft!

INKOTA-Spendenkonto
IBAN DE 06 3506 0190 1555 0000 10
BIC GENODED1DKD

Hier können Sie für ein Projekt Ihrer Wahl oder zweckungebunden spenden: