Bäuerin in Yougoro, Sierra Leone bei der Feldarbeit
Südlink-Magazin

Lebensgrundlage und umkämpfte Ressource

Wie Boden und Land unsere sozialen, ökologischen und ökonomischen Zukunftsfragen bestimmen

von Roman Herre und Tina Marie Jahn
Veröffentlicht 10. JUNE 2025

Er ist unscheinbar, aber lebenswichtig: der Boden unter unseren Füßen. Fruchtbarer Boden und der Zugang zu Land entscheiden über Ernährung, Gerechtigkeit und Klimaschutz – weltweit. Doch genau diese Grundlagen geraten zunehmend ins Visier von Konzernen, Investoren und falschem Klimaschutz. Warum gesunde Böden und gerechte Landverteilung zentrale Schlüssel für unsere gemeinsame Zukunft sind – und was jetzt geschehen muss.

Publikation
Titel des Südlink 212 Boden unter Druck, ein Bauer gießt aus einem Eimer Pflanzen auf einem Feld
Südlink 212 - Boden unter Druck
Natur, Macht, Widerstand | Juni 2025
Publikation
Südlink 212 - Boden unter Druck
Natur, Macht, Widerstand | Juni 2025
Gute Böden sind die Grundlage einer ausreichenden und gesunden Nahrungsmittelproduktion. Doch ihre Vielfalt ist in Gefahr. Genauso wie der Zugang zu Land, das immer mehr zu einer Ware verkommt. Aber es regt sich auch Widerstand.Ob Monokulturen, der hohe Einsatz von…

Unter unseren Füßen liegt ein komplexes, oftmals übersehenes System: der Boden. Er ist weit mehr als bloßer Dreck unter unseren Füßen, er ist eine wichtige Grundlage unseres Lebens. In einem einzigen Teelöffel Boden können mehr Organismen leben als Menschen auf der Erde – darunter Bakterien, Pilze, Insekten oder Würmer. Dieses mikrobielle Netzwerk erfüllt essenzielle Funktionen, ohne die das Leben, wie wir es kennen, nicht möglich wäre. Böden ermöglichen nicht nur den Anbau unserer Nahrung, sie sind auch Wasserspeicher, Klimaregulatoren und Hotspots der Biodiversität. Kurz gesagt: Ohne gesunde Böden keine Nahrung, keine Artenvielfalt, kein wirksamer Klimaschutz.

Gesunde Böden sind essenzielle Akteure im globalen Ökosystem. Über ein Viertel aller bekannten Arten lebt unter der Erde. Diese Vielfalt ist kein Selbstzweck – sie trägt aktiv zur Bodenfruchtbarkeit bei, verbessert die Struktur des Bodens, zersetzt organisches Material, wandelt Nährstoffe um und schützt Pflanzen vor Krankheiten. Ein artenreicher Boden ist stabiler, produktiver und resilienter gegenüber äußeren Einflüssen.

Böden regulieren zudem den Wasserhaushalt, indem sie Regen aufnehmen, speichern und langsam an Pflanzen und Grundwasser weitergeben. Damit wirken sie ausgleichend bei Dürren und Starkregen, reduzieren Überschwemmungsrisiken und sichern die Wasserverfügbarkeit in der Landwirtschaft – eine Funktion, die angesichts sich häufender Wetterextreme immer wichtiger wird.

Gleichzeitig sind Böden bedeutende Kohlenstoffspeicher: Sie binden mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre und alle Wälder zusammen. Besonders Permafrostböden speichern große Mengen – rund 455 Gigatonnen – Kohlenstoff. Das sind 25 Prozent des weltweiten Bodenkohlenstoffs. Doch mit der Erderwärmung taut der Permafrost auf, und die gespeicherten Treibhausgase wie CO2 und Methan drohen freigesetzt zu werden – mit fatalen Folgen für das Weltklima.

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Ohne Boden keine Nahrung

Rund 95 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion hängt direkt oder indirekt von gesunden Böden ab. Ob Getreide, Obst oder Gemüse, all diese lebenswichtigen Nahrungsmittel gedeihen nur auf fruchtbaren Böden. Das völkerrechtlich verbriefte Menschenrecht auf Nahrung ist daher untrennbar mit dem Zugang zu Land und einem gesunden Boden verknüpft.

Es geht um mehr als die physische Verfügbarkeit von Nahrung. Es geht auch um Zugang, Stabilität der Versorgung, kulturelle Angemessenheit und eine selbstbestimmte Produktionsweise. Wer keinen gesicherten und fairen Zugang zu fruchtbaren Böden hat, kann sich auch nicht selbstbestimmt ernähren. Besonders für Menschen im ländlichen Raum des Globalen Südens ist der Zugang zu Land existenziell. Landrechte und eine sozial verträgliche Verteilung von Nutzungs- und Besitzrechten sind daher Schlüsselfragen in der globalen Debatte um Ernährungssouveränität.

Nach wie vor sind kleinbäuerliche Betriebe das Rückgrat der Ernährung. Obwohl Betriebe bis 20 Hektar lediglich ein Viertel der weltweiten Ackerflächen bewirtschaften, produzieren sie darauf etwa 60 Prozent der Nahrungsmittel.

Aber Böden stehen stark unter Druck. Ihre Belastung ist ein schleichender, aber tiefgreifender Prozess. Durch natürliche Kräfte wie Wind und Wasser, aber auch durch menschliche Aktivitäten wie intensive Landwirtschaft, Entwaldung, Überweidung und unsachgemäße Landnutzungsänderungen werden Böden schneller abgetragen, als neuer Boden entstehen kann. Weil fruchtbarer Boden nur sehr langsam entsteht, kann verlorener Boden in einem Menschenleben nicht ersetzt werden.

Jedes Jahr verlieren wir etwa 75 Milliarden Tonnen fruchtbaren Boden durch Erosion. Allein in den letzten 40 Jahren sind weltweit rund ein Drittel der fruchtbaren Böden abgetragen worden. Der Klimawandel wirkt dabei als Beschleuniger. Extreme Wetterereignisse wie Starkregen führen zu Erosion, während Dürren Böden austrocknen, die Biomasse reduzieren und dessen Fähigkeit verringern, Wasser zurückzuhalten. Ohne gezielte Gegenmaßnahmen droht ein Teufelskreis, in dem Ertragsverluste, verstärkter Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln sowie eine weitere Schädigung der Böden sich wechselseitig verstärken und zu Ernährungsunsicherheit führen können.

Land Grabbing und rasant wachsende Landbesitzkonzentration

Parallel dazu nimmt der politische und ökonomische Druck auf Land stetig zu. Land hat sich zur globalen Handelsware entwickelt und soll immer mehr Aufgaben übernehmen. Investoren, Konzerne und Staaten sichern sich weltweit Agrarflächen, sei es für den Anbau von Exportgütern, für Biotreibstoffe, zur Kohlenstoffkompensation oder als Kapitalanlage. Dies führt zu einer Entfremdung der lokalen Bevölkerung, zur Verdrängung indigener Gruppen und zum Verlust bäuerlicher Strukturen. So gibt es mittlerweile transnationale Investoren, die mehrere Millionen Hektar ihr Eigen nennen.

Seit etwa 20 Jahren gibt es eine stark gewachsene globale Nachfrage nach Land – insbesondere durch internationale Investor*innen oder Agrarkonzerne. Schätzungen gehen von weltweit mindestens 100 bis 213 Millionen Hektar aus, die seit der Jahrtausendwende zum Gegenstand von Landdeals wurden. Oft werden dadurch öffentliche und gemeinschaftlich genutzte Flächen privatisiert. Die Landbesitzkonzentration hat folglich gewaltig zugenommen. Beispielsweise kontrolliert der Lebensmittelkonzern International mit Sitz in Singapur nach eigenen Angaben mittlerweile über drei Millionen Hektar Land. In Kambodscha haben 300 Investor*innen zwischen 2006 und 2014 knapp zwei Millionen Hektar Land aufgekauft – annähernd die Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Landes.

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In vielen Fällen geht Land Grabbing mit der gewaltsamen Vertreibung der lokalen Bevölkerung einher. Betroffen sind insbesondere bäuerliche und indigene Gemeinschaften. Sie verlieren die von ihnen genutzten Weiden, Wälder, Bäche und Ackerflächen und damit ihre Existenzgrundlage – oft werden auch Häuser oder ganze Dörfer zerstört. Dabei werden zahlreiche Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung, das Recht auf Wasser oder das Recht auf Wohnen verletzt. Zudem werden völkerrechtlich verankerte Rechte indigener und bäuerlicher Gemeinschaften systematisch ausgehebelt. Auch Deutschland ist an solchen Formen der Landnahme beteiligt, wie der Fall des Berliner Investors Agri in Sambia zeigt.

Neuer Druck auf Land durch falschen Klimaschutz

Regierungen und Unternehmen nutzen mittlerweile verstärkt globale Umweltschutz- und Klimaziele, um eine neue Welle von Land Grabbing zu rechtfertigen. Ob es um Baumplantagen, Naturschutz für Tourismus, Biosprit, grünen Wasserstoff, Solarparks oder die Ausweisung von Kohlenstoffsenken geht, auch hier wird das Land oft den lokalen Landnutzer*innen und Lebensmittelproduzent*innen entzogen. Schon heute machen diese Green Grabs (oder auch „grüner Landraub“) etwa 20 Prozent der großen Landgeschäfte weltweit aus. Beispielsweise plant der italienische Energiekonzern ENI in Afrika Plantagen- und Waldprojekte über acht Millionen Hektar Land aufzubauen, um seine gigantisch schlechte Klimabilanz schönzurechnen. Diese vermeintlich grünen Landdeals sollen in den nächsten Jahren besonders stark zunehmen. So erwartet das Expert*innen-Gremium IPES-Food bis 2030eine Vervierfachung des virtuellen Kohlenstoffhandels mit entsprechender Ausweitung der Flächen für Kohlestoffprojekte.

Auch auf globaler Ebene ist Landpolitik ein wichtiges Thema. Als Reaktion auf die zunehmenden Fälle von Land Grabbing verhandelte der Welternährungsausschuss der Vereinten Nationen (CFS) 2012 erstmals ein völkerrechtliches Instrument zur Landpolitik. Die sogenannten Land-Leitlinien beruhen inhaltlich auch deshalb eindeutig auf den Menschenrechten, weil dies die an der Erarbeitung beteiligten ländlichen Bevölkerungsgruppen – Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, Indigene, Kleinfischer*innen, Landlose oder Hirtenvölker so eingefordert hatten. Die Umsetzung der Leitlinien bleibt jedoch sowohl durch die Staaten selbst als auch im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unzureichend.

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Auf der anderen Seite versucht die Weltbank seit vielen Jahren als „Marktführer“ für globale Landpolitik aufzutreten. Mit großen Projekten und dicken Konferenzen treibt sie Politiken voran, die internationale Landmärkte, Landregistrierung und Privatisierung oder die Digitalisierung von Katastern fördern. Allesamt Ansätze, die Land für eine industrielle Agrarwirtschaft, Finanzinvestoren, den Bergbau oder Kohlenstoffausgleichsprojekte weiter öffnen sollen. Die sozialen und politischen Grundprobleme aber ignorieren sie. Globale Landpolitik sollte eben nicht von einer Bank gemacht werden und so fordern bäuerliche Basisorganisationen zu Recht: „Weltbank raus aus der Landpolitik!“

Agrarökologie als nachhaltige und gerechte Alternative

Die Verschlechterung der Qualität der Böden und der wachsende Druck auf Land zeigen deutlich: Es braucht dringend einen Systemwandel. Technologische Lösungen allein reichen nicht aus, ein ganzheitlicher Ansatz ist nötig. Einen vielversprechenden Weg dafür bietet die Agrarökologie. Sie verbindet wissenschaftliches Wissen mit lokalen, traditionellen Praktiken, fördert die biologische Vielfalt, stärkt die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen und die Menschenrechte und setzt auf eine aktive Beteiligung der Bauern und Bäuerinnen sowie Konsument*innen.

Agrarökologische Konzepte wie Fruchtwechsel, Mischkulturen, Kompostwirtschaft, Agroforstsysteme oder Regenerative Landwirtschaft verbessern nicht nur die Bodenfruchtbarkeit, sondern diversifizieren den Anbau und erhöhen die Erträge auf nachhaltige Weise. Gleichzeitig verringern sie die Abhängigkeit von fossilen Betriebsmitteln wie synthetischen Düngern oder Pestiziden. Besonders im Globalen Süden, wo der Zugang zu industriellen Inputs oft begrenzt und viel zu teuer ist, kann Agrarökologie eine ökonomisch sinnvolle und sozial gerechte Alternative sein.

Auch die in der Agrarökologie verankerte gleichberechtigte Partizipation an Entscheidungen und die gerechte Verteilung von Land sind zentrale Aspekte nachhaltiger Bodennutzung. Landreformen, Stärkung von Gemeingütern, Schutz indigener Territorien und die Demokratisierung der Landpolitik sind notwendig, um die Basis für Ernährungssouveränität zu schaffen.

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Weichen stellen mit Agrarreformen

Eine gerechte Verteilung von Land ist zentral für die Verwirklichung grundlegender Menschenrechte. In Ländern mit hoher Konzentration von Landbesitz auf der einen und weit verbreiteter Landlosigkeit auf der anderen Seite sind Agrarreformen ein entscheidendes Mittel, um soziale Ungleichheiten zu verringern und den Zugang zu Land für marginalisierte Gruppen zu sichern. Erfolgreiche Beispiele wie Südkorea zeigen, dass eine gezielte Umverteilung von Land ganze Volkswirtschaften in Bewegung setzen kann: Dort legten umfassende Agrarreformen nach dem Zweiten Weltkrieg den Grundstein für den wirtschaftlichen Aufschwung und die Demokratisierung des Landes.

Auch international wurde die Bedeutung solcher Reformen erkannt. Sie wurden 2004 in den Leitlinien zum Recht auf Nahrung verankert. Im Jahr 2006 brachte die Internationale Konferenz zu Agrarreformen und ländlicher Entwicklung (ICARRD) in Porto Alegre, Brasilien, das Thema auf die globale politische Agenda. Um diesen Impuls neu zu beleben, ist für 2026 eine Folgekonferenz in Kolumbien geplant: ICARRD+20. Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen wie INKOTA und FIAN sowie zahlreiche bäuerliche Bewegungen und Landlosenorganisationen setzen große Hoffnungen in dieses Treffen. Sie fordern konkrete Maßnahmen und politische Verpflichtungen für eine gerechtere Landverteilung weltweit.

Dabei können sie auf wichtige Fortschritte aufbauen: Mit der Verabschiedung der Erklärung über die Rechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern (UNDROP) durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2018 wurde das Recht auf Land ausdrücklich anerkannt. UNDROP unterstreicht – wie auch die bereits genannten Land-Leitlinien des Welternährungsausschusses – die zentrale Rolle von Agrarreformen für Ernährungssouveränität, Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung.

Klar ist: Es braucht ein Umdenken im Umgang mit Land und Boden. Der Schutz der für unsere Ernährung so wichtigen Böden muss ein größeres politisches Gewicht bekommen. Dazu gehören eine verbesserte internationale Zusammenarbeit und eine klare Vision: Böden sind Gemeingut, das wir für kommende Generationen bewahren müssen. Nur wenn wir Boden als lebendigen Organismus verstehen, können wir unsere Ernährung, das Klima, Biodiversität und Menschenrechte gleichermaßen sichern. Dies wird aber nur gelingen, wenn sich auch der Umgang mit Land verändert. Dazu gehören vor allem ein Ende der weiteren Konzentration des Landes in den Händen weniger großer Landbesitzer und die Unterstützung kleinbäuerlicher Familien, von Kooperativen und indigenen Gemeinschaften. Weltweit bleibt ein Leitspruch der lateinamerikanischen bäuerlichen Bewegung richtungsweisend: „La tierra para quien la trabaja, la cuida y la protege“ – „Das Land für diejenigen, die es bearbeiten, pflegen und schützen.

Roman Herre arbeitet als Agrarreferent bei der Menschenrechtsorganisation FIAN. Tina Marie Jahn ist Referentin für globale Landwirtschaft und Welternährung bei INKOTA.

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