Ende 2020 brachten Hurricane Eta & Jota in Nicaragua schwere Zerstörungen und Überschwemmungen
Südlink-Magazin

Zu viel oder zu wenig Regen

Wie sich der Klimawandel auf die Landwirtschaft im zentralamerikanischen Trockenkorridor auswirkt und was die lokale Zivilgesellschaft tun kann

von Alejandro Alemán
Veröffentlicht 18. MÄRZ 2022

Kleinbauernfamilien aus dem globalen Süden leiden am heftigsten unter den Folgen des Klimawandels. So auch in Zentralamerika. Durch verheerende Dürren, Starkregen und Hurrikane kommt es dort seit Jahren immer öfter zu schwerwiegenden Ernteverlusten. In Nicaragua unterstützt die Umweltorganisation Centro Humboldt die Menschen vor allem in den ländlichen Regionen, um sie besser auf die Gefahren der sich stetig verstärkenden Klimakatastrophe vorzubereiten.

Die Klimakrise in Zentralamerika ist keine Frage der Zukunft oder von Science-Fiction: Die Familien im sogenannten zentralamerikanischen Trockenkorridor, der sich von Mexiko bis nach Panama erstreckt, spüren ihre negativen Auswirkungen schon seit einigen Jahren. Auch die wachsende Flucht in die USA beziehungsweise die „Migrationskrise“, welche sich an der Südgrenze der USA abspielt, steht häufig in direktem Zusammenhang mit dem Klimawandel in Zentralamerika.

Viele Menschen, die in den letzten Jahren ihre Heimatländer verlassen haben, taten dies, um vor der Dürre und großen Ernährungsunsicherheit im zentralamerikanischen Trockenkorridor zu fliehen. Die klimabedingte Vertreibung in Zentralamerika ist nicht neu. Sie wird heute aber vermehrt wahrgenommen, da sie in den letzten Jahren immer stärker geworden ist. Die Menschen in Zentralamerika leiden unter der Last zunehmender Hitze, starker Stürme, veränderter Niederschlagsmuster und landwirtschaftlicher Probleme.

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Wetterextreme nehmen zu

Der Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) hat festgestellt, dass wir dringend einen globalen mittleren Temperaturanstieg von mehr als zwei Grad Celsius bis zum Ende des 21. Jahrhunderts verhindern müssen, um die globalen Klimaveränderungen in einem Rahmen zu halten, der die Stabilität der natürlichen und menschlichen Systeme gewährleistet. Dafür ist laut IPCC die Verringerung der globalen Treibhausgasemissionen um mindestens 45 Prozent bis 2030 gegenüber dem Stand von 2010 sowie die Erreichung von Treibhausgasneutralität bis 2050 notwendig. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines radikalen Wandels in der Art und Weise, wie wir derzeit produzieren und konsumieren, insbesondere in den westlichen Gesellschaften. 

Sehr deutlich sind die Klima-Änderungen in Nicaragua zu spüren. Immer wieder bleiben die Niederschläge aus, auch in den für den Anbau von Nahrungsmitteln so wichtigen Monaten der Regenzeit von Mai bis November. Doch auch Starkregen und Wirbelstürme nehmen an Häufigkeit und Intensität zu.

In eher ländlich geprägten Ländern wie Nicaragua, haben solche Veränderungen schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Einkommen und auf den Zugang der Haushalte zu Nahrungsmitteln und anderen grundlegenden Konsumgütern. Zu viel oder zu wenig Regen sind Faktoren, die sich schnell und direkt auf die Ernährungssicherheit der Menschen auswirken.

Nach Angaben der Weltbank könnten bis zum Jahr 2050 mehr als 140 Millionen Menschen in Afrika südlich der Sahara, in Südasien und in Lateinamerika aufgrund der absehbaren Auswirkungen des Klimawandels – wie dem Anstieg der Meeresspiegel, extremer Hitze, Dürre und Ernteausfällen aufgrund veränderter landwirtschaftlicher Bedingungen – vertrieben werden. Die durch unerwartete Katastrophen wie Wirbelstürme oder Überschwemmungen verursachte Vertreibung ist in dieser Zahl noch nicht enthalten.

Zusätzlich dazu, dass die Länder Zentralamerikas in den letzten Jahren immer wieder unter schweren Dürreperioden litten, wurden sie zuletzt im November 2020 von der Karibik aus nacheinander von zwei schweren Hurrikanen heimgesucht. Eta und Iota brachen in ihrer Zerstörungskraft historische Rekorde, töteten Hunderte Menschen, zwangen Tausende zur Flucht und verursachten Schäden in Milliardenhöhe, insbesondere in Nicaragua und Honduras, in Ländern also, die bereits mit weit verbreiteter Armut zu kämpfen haben. Auch weit mehr als ein Jahr danach haben sich die betroffenen Gemeinden noch immer nicht von den durch die beiden Wirbelstürme verursachten Verluste und Schäden erholt.

Klima-Resilienz

Seit mehr als 15 Jahren arbeitet die Umweltorganisation Centro Humboldt mit lokalen Organisationen, Familien und Gemeinden in Gebieten des Biosphärenreservats Bosawás und des zentralamerikanischen Trockenkorridors in Nicaragua zusammen. Ein großer Teil der Aktivitäten zielt angesichts der sich häufenden Extremwetterereignisse die Bedingungen dafür zu verbessern, dass Familien in diesen Gebieten weiterhin ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Eines der Hauptziele ist die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Gemeinden, in denen das Centro Humboldt tätig ist.

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Einheimisches Saatgut

Dazu gehört zum einen die Förderung von agrarökologischen und an die Auswirkungen des Klimawandels angepassten Praktiken. Ein Erfolgsbeispiel ist der Aufbau von gemeinschaftlichen Saatgutbanken, die den Anbau von vielfältigen, einheimischen und angepassten Saatgutsorten fördern. Auf diese Weise gelingt es nicht nur, die Abhängigkeit der lokalen Produzent*innen von Saatgutpaketen und importierten Agrargiften zu durchbrechen, sondern wir stärken auch die Wirtschaft der Familien und tragen dazu bei, dass die Gemeinden in den wichtigen Phasen des Produktionszyklus mit Saatgut versorgt werden, was sich direkt positiv auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln während des restlichen Jahres auswirkt.

Anpassungsmaßnahmen auf der Grundlage agrarökologischer Praktiken, von denen viele Teil des sogenannten „Modells der resilienten Familie“ sind, die das Centro Humboldt im zentralamerikanischen Trockenkorridor fördert, tragen zum einen dazu bei, dass weniger Familien sich als Flüchtende auf den Weg in die USA machen müssen. Die Maßnahmen sind insbesondere auch ein Instrument, um die Auswirkungen des Klimawandels auf globaler Ebene abzuschwächen, da landwirtschaftliche Felder in Treibhausgassenken umgewandelt werden. Auch dadurch leisten sie einen Beitrag zur Erhaltung von Ökosystemen, die für die lokale und globale Klimastabilität von wesentlicher Bedeutung sind.

Klimadaten für lokale Prognosen

Zum anderen soll ein besseres Verständnis der Gemeinden für Klimamuster deren Widerstandsfähigkeit stärken. Dafür führen wir seit mehr als zehn Jahren ein gemeindebasiertes Klima-Monitoring als Instrument des Katastrophenrisikomanagements und der Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels durch. Durch das zentralamerikaweite gemeindebasierte Klimabeobachtungsnetzwerk (ROCC, Red de Observación Climática Comunitaria) sammeln wir Daten, die zur Analyse der vorhergesagten Klimabedingungen in den beteiligten Gemeinden verwendet werden.

Diese Informationen sind im lokalen Kontext insofern von Bedeutung, als sie die Anpassung der Zeiten für die Aussaat und die Ernte an die vorhergesagten Klimabedingungen ermöglichen, was wiederum eine schrittweise Anpassung der Strategien zur Sicherung des Lebensunterhalts der Haushalte an die vorhergesagten Klimabedingungen erlaubt.

Für den Klima-Hilfsfonds spenden

Im Jahr 2022 verfügt das ROCC über 474 Klimaüberwachungsstationen in ganz Zentralamerika, die in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen in den verschiedenen Ländern der Region eingerichtet wurden. Durch die Standardisierung der Instrumente zur Datenerfassung und -auswertung wird eine hohe Zuverlässigkeit der erzeugten Informationen gewährleistet.

Centro Humboldt erstellt mithilfe der gesammelten Daten lokale Prognosen, die dann in monatlichen Rundbriefen in einem für die Menschen auf dem Land verständlichen Format weitergegeben werden. So können die Bewohner*innen der Gemeinden die Informationen für praktische Anwendungen in verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens nutzen, beispielsweise für Entscheidungen in Bezug auf ihre landwirtschaftliche Produktion, die Weidehaltung, die Wassernutzung und das Katastrophenrisikomanagement.

Schutz und Hilfe bei Katastrophen

Centro Humboldt verfügt außerdem über einen sogenannten Lagebesprechungsraum, der die Aufgabe hat, verschiedene Arten von Naturphänomenen, einschließlich solcher klimatischen Ursprungs, ständig zu überwachen. Auf diese Weise konnten wir während des Durchzugs der Wirbelstürme Eta und Iota im Jahr 2020 die Bevölkerung durch 250 Mitteilungen und Informationsberichte über das Vorhandensein und die Entwicklung der Hurrikane sowie nötige Schutzmaßnahmen informieren und anschließend Informationen über die durch beide Phänomene verursachten Schäden und Verluste sammeln. In 20 indigenen Gemeinden innerhalb des Biosphärenreservats Bosawás führte Centro Humboldt eine Schadensbewertung und Bedarfsanalyse durch, um mithilfe der Unterstützung und Solidarität von Partnerorganisationen im Anschluss die passende humanitäre Soforthilfe zu leisten.

In einer Zeit, in der die Staats- und Regierungschefs der Welt die notwendigen Entscheidungen nicht mit der für den globalen Klimanotstand erforderlichen Entschlossenheit treffen, eröffnet nur noch lokales Klimahandeln Überlebenschancen für diese benachteiligten Gemeinschaften, die im Übrigen am wenigsten für die Entstehung des Problems verantwortlich sind. Angesichts dieses Versagens der Weltgemeinschaft verstehen sich die genannten und weitere Initiativen von Centro Humboldt auch als Beitrag, um die am stärksten gefährdeten Gemeinden der Region besser für die Herausforderungen des Klimawandels zu wappnen.

 

Aus dem Spanischen von Isabell Nordhausen

Alejandro Alemán ist Klimawandel-Referent bei der Umweltorganisation Centro Humboldt in Nicaragua und koordiniert das Climate Action Network Lateinamerika.

Alejandro Alemán ist Klimawandel-Referent bei der Umweltorganisation Centro Humboldt in Nicaragua und koordiniert das Climate Action Network Lateinamerika.

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